Anjelica Huston: Das Mädchen im Spiegel, Aus dem Englischen von Astrid Finke und Gloria Buschor, Rowohlt Verlag, Reinbek 2015, 688 Seiten, €24,95, 978-3-498-03015-5
„Sie trugen das leuchtende Gefieder der frisch Initiierten, und der Zierrat ihrer Vorfahren machte ihre Jugend nur noch offensichtlicher. Oft stammen sie aus guten Familien – reiche, schlaue, berühmte Väter und die schönen Frauen, die sie heirateten. Ich bildete da keine Ausnahme, aber wenn ich zurückblicke, erinnere ich mich, mir gewünscht zu haben, um etwas kämpfen zu müssen. Damals schon gewöhnte ich mir an, es mir selbst schwerer zu machen als nötig.“
Anjelica Huston hat ein Gesicht, das man, wenn man es auf der Leinwand gesehen hat, so schnell nicht vergisst. Sie ist in all ihren Rollen durch ihre Ausstrahlungskraft und ihr Talent absolut präsent. Und sie ist durch ihre Herkunft privilegiert.
Geboren wurde sie 1951 als ihr berühmter Vater John Huston im Kongo „African Queen“ drehte. Ihre Mutter Enrica Soma war achtzehn Jahre alt als Anjelica auf die Welt kam. Ihre Karriere als Balletttänzerin hatte sie schon aufgegeben als Tony, Anjelicas ein Jahr älterer Bruder geboren wurde. Altersmäßig liegen Anjelicas Eltern, John Huston ist Mitte vierzig als sie heiraten, weit auseinander und problematisch war die Ehe der Eltern sicher, denn Huston hatte eine lebenslange Affäre mit Suzanne Flon, die er sogar kurz vor seinem Tod aus Frankreich einfliegen ließ. Immerhin zog die Familie von Los Angeles in einen entlegenen Ort in Irland. In St. Clarens, einem imposanten Anwesen, verbrachte Anjelica Huston zwischen Pferden, Katzen, Hunden und Angestellten ihre Kindheit. Detailreich beschreibt sie die einzelnen Räume, die Möbel, die Inneneinrichtung für die die Mutter und ihr guter Geschmack zuständig waren. Wenn der Vater das Haus nach langen Dreharbeiten wieder betrat, dann erwachte es aus dem Dornröschenschlaf, so empfand es das Kind. Der charismatische Vater fordert die Kinder in jeder Hinsicht, verachtet Feigheit und sucht das Gespräch. Aber auch Anjelica Huston ringt mit ihrem Bruder um die Aufmerksamkeit des Vaters. Als Glücksspieler hat John Huston die Geduld der Mutter oft herausgefordert und auch wenn die Familie pleite war, es gab nie einen Einbruch des Lebensstandards. Aber Anjelica Huston spürt die Spannungen im Haus und sie wagt es nicht zu fragen, denn sie will im Grunde, und das wird ihr auch im weiteren Leben so ergehen, die Antworten nicht hören. Als das Kind neun Jahre alt ist, trennen sich die Eltern und die Mutter zieht nach London. An der Seite des Vaters, ob bei Dreharbeiten oder auf Filmfestivals, Anjelica Huston ist stolz und doch auch verunsichert.
„Ich konnte mir nicht eingestehen, dass meine Mutter Liebhaber hatte. Denn aus meiner Sicht stellte sich nicht einmal die Frage, wie man diese Männer mit Dad auch nur vergleichen konnte. Mein Vater war ein ganz anderes Kaliber. Verwegen, furchtlos und überlebensgroß. Er war intelligent und ironisch, mit einer warmen Stimme, wie Whiskey und Tabak.“
Erst später wird Anjelica Huston zu ihrem auch despotischen Vater, Kettenraucher und notorischen Schürzenjäger eine kritische Position einnehmen, besonders nach der Szene als er sie ins Gesicht schlug, weil ihm etwas nicht passte.
Auf der Suche nach dem eigenen Weg jedoch kommt Anjelica Huston nicht an ihrem Vater vorbei und so zwingt er sie fast, in seinem Film „Eine Reise mit der Liebe und dem Tod“ eine Rolle zu übernehmen. Die Kritiken sind eher vernichtend.
Anjelica Huston will lieber als Model arbeiten und das bereits sehr früh. Als ihre Mutter mit 39 Jahren bei einem Autounfall auf dem Weg nach Venedig stirbt, versinkt sie in eine tiefe Trauer. Fluchtort bei allen vermeintlichen Niederlagen ist das Bett. Indirekt gibt Anjelica Huston dem Vater die Schuld am frühen Tod der Mutter, der sie verlassen hat.
Als sie einundzwanzig ist, löst sich Anjelica Huston aus der verhängnisvollen Beziehung zum Fotografen Bob Richardson, von dem sie zwar viel lernt, aber auch völlig verunsichert und gedemütigt wird. Als Model ist Anjelica Huston zwar in Europa gefragt, aber in Kalifornien eher weniger. Die Auftragslage ist mal mehr mal weniger vielversprechend und so beginnt sie langsam, sehr langsam über ihre berufliche Zukunft nachzudenken. Als sie ihrem Vater erzählt, sie wolle schauspielern, meint er nur, sie sei vielleicht zu alt. Anjelica Huston hat nie eine Berufsausbildung absolviert, denn niemand, weder Vater noch Mutter hatten wohl den Einfluss, um sie in eine bestimmte Richtung zu lenken. Mit 28 Jahren beginnt sie erste Schauspielkurse zu belegen, da sie bei Dreharbeiten spürt, das ihr trotz allem Talent etwas fehlt.
An der Seite von Jack Nicholson, einem berühmten, egozentrischen, aber auch großzügigen Schauspieler, fühlte sie sich als Schauspielerin nicht ernst genommen.
Und doch hat sie gerade in dieser Zeit mit Nicholson und John Huston ihren beruflich größten Erfolg zu verzeichnen. Sie gewinnt den Oskar für die beste Nebenrolle im Film „Die Ehre der Prizzis“, Regie John Huston.
Anjelica Huston liebt den Jetset, aufregende Kleider und sie besucht Partys, lädt selbst gern ein und lebt scheinbar ohne Ziele selbstbezogen und oberflächlich in den Tag hinein. Drogen, Alkohol und Sex bestimmen das Leben der Künstler, Schauspieler, Kreativen. Klangvolle und weniger bekannte Namen tauchen in ihrem Buch auf und die Aneinanderreihung der vielen Personen und der Erwähnung wie und wo man sich getroffen hat, wer von wem der Freund, Bekannte, Verwandte oder was auch immer ist, ermüdet bei der Lektüre mit der Zeit.
Angenehmer und aussagekräftiger sind die Passagen, in denen Anjelica Huston wirklich von Menschen aus ihrem näheren Umfeld und die eigenen Konflikte, ob in Beziehungen, bei Entscheidungen oder Reflexionen, z.B. über ihre Kinderlosigkeit spricht. Prägend für sie ist eindeutig ihr charismatischer Vater, den immer ein bestimmter Duft von Zigaretten oder später Havannas umgab. Er verkaufte ohne die Kinder zu fragen, das irische Anwesen und nimmt ihnen so ihre Erinnerungen an die Kindheit. Er dreht weiterhin einen Film nach dem anderen, heiratet wieder und trennt sich und findet vielleicht die Nähe zu den Kindern kurz vor seinem Tod. Sehr ins Detail mit kritischen Anmerkungen geht die Autorin selten, auch wenn die Personen bereits verstorben sind. Wird es sehr privat, muss ein Satz reichen. Man hätte sich mehr beschreibende oder reflektierende Passagen gewünscht und nicht die Aufzählung von Namen ( ohne Personenregister ).
Interessant sind sicher die Szenen, in denen Marlon Brando mal vorbeischaut oder Mick Jagger unverhofft zur Tür in sein Alltagsleben hineinspaziert. Oder aber die Telefonate und Arbeitssituationen mit Woody Allen, die Anjelica Huston eher verunsichern als aufbauen. Manchmal gelingen ihr auch ganz tiefsinnige Einsichten.
„Ich war zu dieser Zeit sehr einsam. Aber mir wurde klar, dass es eigentlich Jacks Leben gewesen war, in dem ich gelebt hatte. Das war jetzt vorbei.“
Zu sich selbst gefunden, so könnte man denken, hat Anjelica Huston als sie den mexikanischen Bildhauer Robert Graham kennenlernt, mit ihm lebt und ihn heiratet.
Keine Frage, Anjelica Huston ist als Schauspielerin erfolgreich und sie hat bedeutende Leute kennengelernt, Marlon Brando, Carson McCullers, John Steinbeck u.v.a.. Wie viel der Leser jedoch wirklich durch eine Autobiografie, auch wenn Anjelica Huston eine gute Erzählerin und eifrige Rechercheurin ist, über die Person selbst erfährt, bleibt offen. Oskar Wilde sagte einmal:
„Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er als er selbst spricht. Gib ihm eine Maske, und er wird dir die Wahrheit sagen.“
Ihrem eigenen Ich kommt Anjelica Huston vielleicht in der Kindheit nahe, aber dann bleibt sie in ihren persönlichen Beschreibungen ihrer Entwicklung doch auf Distanz, die sie nicht überwinden will oder kann.
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