John Boyne: Die Geschichte eines Lügners, Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch und Michael Schickenberg, Piper Verlag, München 2021, 432 Seiten, €24,00, 978-3-492-05963-3

„Maurice klopfte mit dem Kugelschreiber auf den Tisch. Genau darum arbeitete er meistens von zu Hause aus und kam nur ein- oder zweimal die Woche ins Büro. Diese dämlichen Autoren. Jahrelang hatte er sich danach gesehnt, in ihren Club aufgenommen zu werden, aber manchmal fand er sie einfach nur ätzend.“

Seit der Präsidentschaft von Donald Trump ist das schamlose und öffentliche Lügen salonfähig geworden. Je länger Trump bei einer, wie alle Welt weiß, verlogenen Aussage bleibt, um so glaubwürdiger erscheint sie seinen Anhängern. Bei Autoren mag das nicht anders sein. Maurice Swift redet sich immer wieder ein, dass er nicht für seinen Betrug und seine Lügen verantwortlich sei. Alles, was er anderen Personen angetan hat, ob er nun ihre Ideen für Geschichten geklaut hat bis hin zum Diebstahl des geistigen Eigentums, d.h. ganze Romanmanuskripte, ist für ihn eigentlich deren eigene Schuld. Wenn der mittlerweile berühmte Erich Ackermann 1988 ihm in seltsamer Zuneigung das Geheimnis seines Lebens erzählt, dann ist es doch nicht Maurice‘ Fehler, wenn er die Gelegenheit wahrnimmt und alles Gehörte in seinem ersten fiktionalen Roman niederschreibt. Mag Ackermann ein gieriges Auge auf den durchtrainierten wie jungen Körper des gut aussehenden Kellners namens Maurice im Hotel in Westberlin geworfen haben, ihn mit Hintergedanken zu seinem Assistenten gemacht haben, alles nicht Swifts Problem. Den öffentlichkeitswirksamen Eklat einkalkuliert, freut sich jeder Verlag über hohe Verkaufszahlen und wenn nötig auch auf Kosten anderer.
Skrupellos strebt der aus einfachen Verhältnissen stammende egozentrische Maurice Swift eine Karriere als berühmter Autor an. Mit seinem attraktiven Aussehen fesselt er homosexuelle, ältere Männer und hangelt sich durch deren Beziehungen und Kontakte nach oben. Nur Gore Vidal, der eigentlich selten an der Amalfiküste Besuch empfangen hat, vermag es hinter die Fassade des Emporkömmlings zu schauen. Nur er sagt dem Lügner auf den Kopf zu, was er von ihm hält.
Aber alles prallt am übersteigerten Selbstbewusstsein des Maurice Swift ab, der mit seinem Debütroman für Furore sorgte und mit seinem zweiten Roman bei allen Kritiken durchfällt.
Durch seine Ehe mit Edith, einer nicht unbekannten Autorin, versucht Maurice, sein zweites Lebensziel zu verwirklichen, er möchte einen Sohn. Nach vier Fehlgeburten werden die Aussichten auf Nachwuchs immer aussichtsloser. Da Edith ihm kein Kind schenkt, vergreift er sich an ihrem Romanmanuskript und schreckt nicht davor zurück, seine Ehefrau nach der Aufdeckung des geistigen Diebstahls die Treppe hinabzustoßen.

John Boyne verfolgt seine Hauptfigur auch in den folgenden Lebensabschnitten, die weiterhin einen nach Aufmerksamkeit und Ruhm gierenden Mann zeigen. Eigenartig vorhersehbar sind alle Handlungen des Betrügers, der vor nichts zurückschreckt. Maurice schwängert ein italienisches Zimmermädchen und kauft ihr das Kind ab. Mit Daniel erfüllt sich nun sein Wunsch und doch stellt sich nicht die Zufriedenheit ein, die er sich mit einem Kind erträumt hatte. Im Alter von über fünfzig kann Swift durch seinen Alkoholkonsum kaum mehr zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden. Spricht er von seiner eigenen Kreativität und der Qual bei der Suche nach einer guten Geschichte, dann weiß der Leser, dass er wirres Zeug redet. Mag gerade die letzte Begegnung Swifts mit einem jungen Verehrer und Autor von Biografien doch allzu konstruiert sein, so wird über den Plagiator und eiskalten Mörder doch ein Urteil gesprochen. Gelernt hat der gute Swift aus allem nichts und darüber kann man lächeln oder wirklich an der Welt verzweifeln.

Mal aus der Sicht der Hauptfigur, dann wieder aus der Du-Perspektive Ediths, die ihren Ehemann im Blick hat, sein Verhalten beobachtet und letztendlich völlig falsch einschätzt, erzählt John Boyne fesselnd und mit einem sarkastischen, nicht augenzwinkernden Blick in Richtung Literaturbetrieb.
Maurice Swift geht über Leichen, um seinen Platz in der literarischen Welt immer wieder aufs Neue durch Lügen zu erobern. Schnell werden heutzutage neue Talente auf den Buchmarkt geschwemmt und genauso schnell sind die neuen Titel nach nur wenigen Wochen in der Ramschkiste, ohne im schlimmsten Fall je beachtet worden zu sein.
Zwischen Autoren mit Klarnamen und erfundenen fiktiven Autoren hin- und herwechselnd bleibt die Handlung dieses Romans einfach spannend, vorausgesetzt man interessiert sich wirklich für die Schicksale von Autoren und Autorinnen.