Candice Fox: Stunde um Stunde, Aus dem australischen Englisch von Andrea O’Brien, TB, Suhrkamp Verlag, Berlin 2023, 475 Seiten, €18,00, 978-3-518-47358-0

„Charlie beobachtete Lamb ganz genau. Es gab keine Tränen, noch nicht. Aber er würde sie ihr lassen, denn wenn es einen guten Moment gegeben hatte, die emotionale Kontrolle zu verlieren, war er wohl jetzt gekommen. Selbst er hatte feuchte Augen, ….“

Als knallharter Cop, den so schnell nichts umhaut, hat Charlie Hoskins fünf Jahre lang undercover in der absolut brutalen Bande Death Machines gelebt und Unmengen an Material und Beweisen gegen sie gesammelt. Doch dann ist er aufgeflogen und Schuld daran ist die einundzwanzigjährige, noch ziemlich naive Polizistin Lynette Lamb. Kaum hat sie ihren Dienst am ersten Tag angetreten, steht sie schon wieder auf der Straße. Doch Lamb ist kein Mensch, der schnell aufgibt, denn für sie ist die Arbeit als Officer beim Los Angeles Police Department die einzige, die sie sich vorstellen kann. Charlie Hoskins ist da ganz anderer Meinung. Beide werden sich begegnen und gemeinsam an einem scheinbar unlösbaren Fall arbeiten. Charlie konnte seinen Peiniger in der Bande entgehen und wurde von einer beherzten Frau gerettet. Aus dem Krankenhaus entlässt er sich selbst, immer in dem Wissen, dass die Bande ihn verfolgen wird, und stößt auf Lamb. Ihr gemeinsamer Fall ergibt sich aus einer Geiselnahme im Hertzberg-Davis Institut für Forensische Forschung. Im Labor 21 lagern alle wichtigen Proben, die Gewalttaten nachweisen können, auch Charlies Beweise. Hier haben sich Elsie und Ryan Delaney mit drei Geiseln verschanzt. Ihre Forderung ist klar, sie erwarten, dass die Polizei innerhalb von zwei Tagen ihre vor zwei Jahren verschwundene fünfjährige Tochter Tilly zurückbringt. Sollte nichts geschehen, drohen sie mit der Vernichtung wichtiger Proben und dem Tod der Geiseln.

Polizeichefin Saskia Ferboden steht vor einer unvorstellbar schwierigen Aufgabe. Hat die Polizei damals wirklich fahrlässig und faul gehandelt? Ist das Kind, dass von Zeugen am Santa Monica Beach gesehen wurde, wirklich ertrunken? Doch wo ist die Leiche? Was ist an diesem einen Tag wirklich geschehen?

Lamb und Charlie beginnen nun nach und nach Leute zu befragen, und alle Spuren auf ihren Wahrheitsgehalt abzutasten. Dabei geraten sie ständig aneinander, denn Lamb muss doch noch viel lernen, reagiert aber auch ganz instinktiv auf vieles richtig. An diesem Nachmittag vor zwei Jahren sollte eigentlich die fünfzehnjährige Schwester Jonie auf die Kleine aufpassen. Die Eltern hatten nichts besseres zu tun, als sich über ihre Finanzen zu streiten. Doch Jonie war genervt, denn ihre Freunde tummelten sich im Wasser und Tilly wollte nicht baden, hatte Angst. Um so abstruser die Behauptung, sie wäre der Schwester auf dem Weg vom Strand weg ausgerissen und hätte sich Richtung Wellen bewegt. Jonie jedoch behauptet in Gegenwart von Saskia Ferboden, sie selbst habe die verhasste Schwester ermordet.

Genial und psychologisch gut durchdacht verknüpft die australische Autorin mehrere Handlungsstränge, um diese letztendlich mit detailliertem Wissen über moderne Polizeiarbeit zur Lösung des Falles zusammenzuführen. Mit unerwarteten Wendungen überrascht Candice Fox die Lesenden und lässt Charlie und Lamb immer neue, nie überkonstruierte Tatsachen aufdecken. Keine Frage, dieser Roman mit durchaus brutalen Szenen ist nichts für zarte Seelen, aber er besticht durch sein hohes Erzähltempo und seine originellen, sehr ambivalenten Figuren. Ohne Probleme hält die Autorin ihren makellosen Spannungsbogen bis zum bitteren Ende.

Man sollte nie einen neuen Kriminalroman von Candice Fox verpassen, denn sie ist wirklich eine außergewöhnliche Autorin.