Peter Mohlin, Peter Nyström: Der stille Vogel, Aus dem Schwedischen von Max Stadler, HarperCollins, Hamburg 2024, 508 Seiten, €24,00, 978-3-365-00448-7

„Anstatt Zeit und Mühe darauf zu verschwenden, wo die Brodin-Zwillinge versteckt gewesen waren, konzentrierte John sich darauf, warum sie bewegt worden waren. Aus Sicht des Täters waren der Transport und das Graben im Wald ein großes Risiko. Warum sollte er das auf sich nehmen, wenn seit über dreißig Jahren niemand die Leichen gefunden hatte?“

Der vierunddreißigjährige John arbeitet als Ermittler in Karlstad und kümmert sich um Nicole, deren Vater ermordet wurde. Die Neunjährige weiß nicht, dass John ihr Onkel ist, denn er lebt als ehemaliger FBI – Agent unter falschem Namen. Nur seine künftige Chefin Mona kennt seine wahre Identität, vertraut ihm aber nicht. Eigentlich sollte er längst in Berlin arbeiten, aber John kann Nicole, für die er eine passende Pflegefamilie sucht, nicht allein lassen. Und dann ist da auch noch dieser seltsame Fall. In einem Seeadlernest wurde ein menschlicher Knochen gefunden, das Schlüsselbein eines Kindes. Vor gut dreißig Jahren verschwanden die zehnjährigen Zwillinge Jonas und Jens Brodin. Über diesen Verlust ist Kenneth Brodin, der Vater, nie hinweggekommen, zumal die Leute im Ort behaupten, er sei der Mörder seiner Kinder. Geplagt von psychotischen Schüben haust er in einem Leuchtturm. Als seine Kinder verschwunden sind, war er angeblich auf Dienstreise in Finnland. Dies wird sich als Falschaussage herausstellen.
Parallel zur Handlung, die sich mit der Polizeiarbeit befasst, lernen die Lesenden Torgny Hammarström kennen. Der Fünfzigjährige wird oftmals mit seinem einst in der Gewerkschaft sehr stark engagierten Vater verglichen. Torny ist kaum gereist und nun, wo sein Sohn aus dem Haus ist, denkt er eher an ein neues Auto als an seine Frau Beatrice, die von der Insel Borneo träumt. Im Nachbarhaus ist der seit dreißig Jahren verschwundene Pål Kratz wieder aufgetaucht. Und Sussie, die Nachbarin der Kratz‘ und Schwester von Torgny, sorgt sich, denn sie hat sich zwar um Påls demente Mutter und deren Tochter Linnea, die am Downsyndrom leidet, gekümmert, aber auch zu viel Geld der Familie Kratz veruntreut.
Interessant ist, wie Mohlin und Nyström nun eine dramatische Handlung mit diesen Protagonisten gemeinsam mit dem alten Fall konstruieren. Die beiden schwedischen Autoren umkreisen ihre ambivalenten Figuren, wobei sie nie in die Klischeefalle tappen. Zwar kennen alle Pål Kratz als Kind, wissen aber eigentlich nichts über sein Leben in Südafrika. Er gibt den verständnisvollen Mitbürger, der sich für Migranten einsetzt und überredet Beatrice, die sich in ihn verliebt hat, ein fünfzehnjähriges Flüchtlingsmädchen aus dem Irak, das abgeschoben werden soll, zu verstecken.
Niemand ahnt, dass dieses Mädchen ihn bei einer Tat gesehen hat und ihn nun erpresst.
Als dann auch noch Torgny in seinem eigenen Haus erschlagen wird, nimmt die Geschichte Fahrt auf, denn alle scheinen zu wissen, wer der Mörder ist und täuschen sich.
Inzwischen stellt sich auch heraus, wo die Körper der toten Jungen über eine so lange Zeit gelagert wurden und warum sie im Wald schlecht versteckt plötzlich auftauchen.

Psychologisch interessant und dabei überzeugend erzählen die beiden schwedischen Autoren eine durchaus spannende Geschichte mit nicht allzu vielen handelnden Personen, aber zahlreichen Konflikten untereinander. Kämpfen die einen um ihr Überleben, so betrügen die anderen oder belügen sich selbst. Dass keine der verdächtigen Figuren dann wirklich die Tat begangen hat, für die sie mit guten Argumenten beschuldigt wurde, macht den Reiz dieses Romans aus und auch das Eintauchen in die schwedische Gesellschaft, die offensichtlich viele Probleme mit der Integration der Geflüchteten der letzten Jahre hat.