Anne – M. Keßel: Tödliche Strömung, Piper Verlag, München 2024, 416 Seiten, €12,00, 978-3-492-31491-6

„Das, was Nora lange Zeit absolut abwegig vorgekommen war, schien auf einmal im Bereich des Möglichen zu liegen: dass einige vom Weg abgekommene Religionsfanatiker tatsächlich nach alter heidnischer Tradition Menschen geopfert hatten.“

Connie Steenberg, die gern unkonventionell arbeitende dänische Kriminalkommissarin, die mit ihrer nicht gerade feinfühligen Art oftmals Leute auf die Palme bringen kann, steht wieder im Mittelpunkt des zweiten Kriminalromans von Anne – M. Keßel.
Scheinbar ruhiggestellt, da sie nur noch Cold Cases bearbeiten darf, gräbt die quirlige Frau natürlich einen Fall aus, der sie wieder mitten ins aktuelle Geschehen katapultieren wird.
Connie hatte festgestellt, dass es seit siebzig Jahren an der deutsch-dänischen Grenze eine Gemeinschaft von Neuheiden gibt, die zurück zur Natur ihre Götter Odin und Co. anbeten. Toleriert von allen Dorfbewohnern auf beiden Seiten gibt es nur Auseinandersetzungen mit dem aggressiven Schweinebauern Magnus Hauge, der sogar den heiligen Baum der Gemeinschaft, eine Esche, gefällt hat. Im Grenzwäldchen wurden allerdings am Ort der Esche im Abstand von jeweils dreißig Jahren zwei Männer, Rainer Thun und Kristoffer Kjaer, ermordet. Beide Opfer fand man an der gleichen Stelle nackt und mit eingeritzten Runen. Connie mutmaßt nun, dass nach wiederum dreißig Jahren der nächste Mord passieren könnte. Und so bittet sie ihre einzige Freundin, Polizeikommissarin Nora Boysen, sich undercover bei der Gemeinschaft der Heiden umzusehen. Nora kann Connies Vorstellung, dass die Heiden rituelle Menschenopfer ihren Göttern darbringen, kaum teilen. Sie erlebt die Gemeinschaft als freundlich, tolerant und absolut friedfertig. Außerdem verliebt sie sich ausgerechnet in den offiziellen Sprecher der Heiden, Mats Hansen.
Doch dann, es kann nicht anders sein, findet ausgerechnet Nora erneut an der gleichen Stelle, wo vor dreißig und sechzig Jahren die männlichen Leichen lagen, ein neues nacktes Opfer. Es ist ausgerechnet Katrine Hauge, die Frau des Schweinebauern. Auch sie hat auf dem Rücken eingeritzte Zeichen, die sich später als eine Binderune herausstellt.
Gemeinsam mit der Flensburger Polizei werden Connie und Nora nun ermitteln. Auffällig ist, dass ausgerechnet Katrine, die durch ihre Krebserkrankung stark gezeichnet ist, ein wertvolles Amulett mit dem Zeichen des Thorhammers um den Hals trägt. Nach und nach tragen die Ermittler nun Informationen zusammen, die alle zu keinem Motiv für den Mord führen. Die impulsive Connie zerstreitet sich auch noch mit Nora, da sie ihr vorwirft, dass sie den Mord an Katrine nicht verhindert hat.
Anne – M. Keßel springt durch Rückblenden in den Zeitabläufen hin und her. Dadurch haben die Lesenden oftmals einen Informationsvorsprung und wissen mehr als die Polizei. Auch wenn Katrine und Magnus ihre Leinenhochzeit nach fünfunddreißig Jahren Ehebund gefeiert haben, ist diese Beziehung schon sehr lange nicht mehr glücklich. Magnus hatte für seine Liebe zu Katerine alles aufgegeben und ist Schweinebauer geworden. Dass Katerine allerdings vor dreißig Jahren einen Geliebten hatte, äußert Magnus Schwester, die Pastorin Helene Hauge, erst in einem Gespräch mit den Beamten. Und dann ist da noch dieser ominöse Brief, den Magnus, der zum Zeitpunkt des Mordes an seiner Frau betäubt gewesen war, offenbar verbrannt hat.
Wie so oft sind entscheidende Details, die manchmal nur durch Zufall ans Tageslicht kommen, bei einer Mordermittlung wichtig. Auch wenn an der deutsch-dänischen Grenze die Menschen beide Sprachen sprechen und gut zusammenleben, gibt es doch gerade im Bezug auf die Bürokratie unterschiedliche Ansichten. Denn wer hätte gewusst, dass ein Brief an die dänische Polizei auch unfrankiert geöffnet wird, an die deutsche Polizei unfrankiert jedoch an den Absender zurück gesendet wird.

Natürlich wird Connie mit ihrer Hartnäckigkeit nach und nach alle Fakten zusammentragen und die drei vermeintlichen Verbrechen lückenlos aufklären. Durch einige Nebenhandlungen, die sich auf die Privatleben der Ermittler und Ermittlerinnen konzentrieren, wird die durchaus spannende Handlung etwas in die Länge gezogen.
Trotzdem, gut konstruierter Plot, spannend geschrieben mit widersprüchlichen Figuren und psychologisch überzeugender Handlung.