Sabine Thiesler: Romeos Tod, Heyne Verlag, München 2024, 384 Seiten, €22,00, 978-3-453-27438-9

„Mona antwortete nicht. Sie war über die Heftigkeit seiner Worte beinah erschrocken. Aber er hatte sie wirklich verstanden und verfluchte sie nicht. Das war ihre größte Angst gewesen. Jetzt jubelte sie innerlich, und ihr Herz raste vor Freude.“

Zwei Frauen, die nicht unterschiedlicher seinen könnten, treffen sich in einem Zug Richtung München. Über den Ärger wegen der Verspätung der Deutschen Bahn kommen die beiden ins Gespräch und daraus entwickelt sich eine verhängnisvolle Beziehung, an deren Ende zwei Tote zu beklagen sind.
Die attraktive Mona Russo hat nach einer zehnjährigen Haft gerade das Gefängnis verlassen. Dorothea Jespik, pensionierte Lehrerin und eher unscheinbar, ist auf dem Weg zu ihrem doch sehr exaltierten Sohn Jan, der an einem Provinztheater zum ersten Mal die Rolle des Hamlet verkörpert.
Aus den Blickwinkeln von diesen drei Protagonisten verfolgen die Lesenden den Fortgang der Geschichte, die damit beginnt, dass Mona verzweifelt ihren Ex-Mann Vincenzo Rosso und ihre Kinder Leo und Lena sucht. Der Italiener Vincenzo ist nicht der leibliche Vater, könnte allerdings wieder in Italien, in der Nähe von Florenz leben und in einer Pizzeria arbeiten. Als sich Mona, Dorothea und Jan dann begegnen, entspinnt sich zwischen Jan und Mona eine sexuell, fast animalische Liason. Dass Mona ein extrem manipulative Person ist, verstehen die Lesenden erst im Laufe der Handlung. Der labile Schauspieler Jan steigert sich in seine Rollen hinein und hat manische Angst vor Premieren. Geschickt zieht Mona Dorothea und ihn auf ihre Seite und tischt ihnen, auch das versteht man erst im Nachhinein, eine erfundene Geschichte auf, warum sie eine zehnjährige Haftstrafe verbüßen musste. Vom Erfolg der Hamlet-Vorstellungen getragen, wechselt Jan nach Wien um den Lenz, eine in sich sehr komplizierte und komplexe Figur, zu spielen. Mona und Dorothea reisen allein nach Italien, um nach den Kindern zu suchen. Doch warum haben sie nie, auch als sie älter waren, den Versuch unternommen, die Mutter zu besuchen, mit ihr zu sprechen? Wie kann es sein, dass ein Mann ohne gesetzliche Grundlage, er hatte die Kinder nicht adoptiert, sie einfach so mit sich nehmen kann?
Zunehmend gleitet Jan, der zu aggressiven Ausbrüchen neigt, in die Welt seiner Figuren und kann kaum noch zwischen Realität und Kunst unterscheiden. Als vor einer Vorstellung alle im Theater verzweifelt nach Jan suchen, entdecken sie ihn im Zuschauerraum. Seine Erklärung: Er wollte sich das Stück mit dem so überragenden Darsteller des Lenz einfach mal ansehen. Nun freigestellt reist Jan zu Mona, die inzwischen ihren Mann in der Toskana gefunden hat. Doch das Bild, dass sich nun von Vincenzo und seinem Sohn Leo ergibt, stimmt nicht mit Monas Schilderungen überein. Und wo ist die Tochter Lena? Hat der Ex-Mann ihre Tochter beseitigt? Ist das der Grund, warum sie nie wieder von ihr gehört hat? Und warum sitzt Leo in einem Rollstuhl? Nach und nach ergibt sich eine ganz andere Geschichte, die Mona jedoch noch für sich behält. Sie offenbart ihrem Geliebten indirekt ein Theaterstück, bei dem er seine Rolle improvisieren muss.

„Auf ihn wartete jetzt die größte und schwerste Rolle seines Lebens. Eine Herausforderung ohne Regisseur und ohne Probe. Die Improvisation der Realität. Er würde Rache nehmen. Für Mona. Rache hatte ihn schon immer fasziniert. Sie hatte etwas Göttliches an sich. Durch Gerechtigkeit das Gleichgewicht auf Erden wiederherstellen und damit den Seelenfrieden erlangen.“

Immer mehr verfällt Jan seinen Rollen und kann nicht mehr zwischen wahrem Alltag und Bühnenkunst unterscheiden. Am Ende wird er den Romeo in Krefeld pur nehmen und in seiner Rolle bis zum bitteren Schluss aufgehen. Über eine toxische Beziehung, die Jan, aber nicht Mona ins Verderben führen und charismatische Menschen, die andere für sich handeln lassen, erzählt dieser Roman, der ohne Ermittler von schrecklichen Verbrechen erzählt.