Ingrid Noll: Gruß aus der Küche, Diogenes Verlag, Zürich 2024, 304 Seiten, €26,00, 978-3-257-07277-8

„Mein Englisch ist zwar von Hause aus etwas dürftig, aber durch Josch habe ich viel dazugelernt. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich einen Kurs an der Volkshochschule belegen. Vinzent scheint es aber zu hassen, wenn man englische Ausdrücke ins Deutsche übernimmt.“

In ihrem hessischen Heimatort hat sich die kugelrunde Köchin Irma Krugel einen Traum erfüllt. Die vierzigjährige Frau eröffnet ein vegetarisches Restaurant in einem alten Fachwerkhaus und nennt es „Aubergine“. Als Kellner, Hausmeister und Mann für die Finanzen steht der ziemlich große Josch an ihrer Seite, ein Weltenbummler und Typ, der gern mit seinem Wissen prahlt und Männerdutt trägt. In der Küche arbeitet neben Irma ihre beste Freundin Nicole, die als alleinerziehende Mutter nie Glück mit Männern hat, aber dafür zwei nun fast erwachsene Söhne, als Hilfsköchin. Irma mit ihrem guten Herz hat die sechzehnjährige Schulabbrecherin Lucy eingestellt und den über achtzig Jahre alten Vinzent, genannt der Gemüsemann, da er ziemlich gemächlich die Schnippelarbeit in der Küche übernommen hat, weil er sich einfach zu Hause langweilt. Alle fünf Protagonisten kommen bei Ingrid Noll nun zu Wort und erzählen jeweils aus ihrer Sicht, wie sie ihre Tage in der „Aubergine“ verbringen und was sie voneinander halten.
Lucy, die in der Schule auch „Kichererbse“ genannt wurde, bringt die Jugendlichkeit in die Küche. Ihre Sprache ist durchsetzt mit englischen Worten und laxer Überheblichkeit. Als sie dem Gemüsemann einen Streich spielt, ist dieser sofort bereit, ihr Gleiches mit Gleichem zurückzuzahlen. Dr. Vinzent Soloth ist kein debiler alter Mann, der weder richtig sehen noch hören kann. Er versteckt geschickt sein Hörgerät, um alle gut beobachten zu können, und sich seinen Teil zu denken. Gutbetucht wohnt er allein in seinem großen Haus. Seine Söhne leben in den USA und kümmern sich kaum den Vater. Dieser jedoch ist auch kaum am Leben der Söhne, geschweige denn an seinen Enkelkindern interessiert. Ziemlich verliebt in Irma, die nie im Gegenteil zu den anderen ein böses Wort über ihn sagt, erhofft sich Vinzent ihre Aufmerksamkeit.
Josch, der nie irgendwo einen Abschluss gemacht hat, mag seine gute Stellung und leichte Arbeit, denn er ist sozusagen der Hahn im Korb. Sexuell hat sich seine Beziehung zu Irma abgekühlt, aber da sind ja noch Nicole und auch die minderjährige, freche rothaarige Lucy. Sein Blick auf Irma ist ziemlich herablassend. Sie, die sich ständig neue Gerichte ausdenkt, akzeptiert, dass ihre Mitarbeitenden auch gern mal ein Steak essen. Josch hält die kleine, emsig arbeitende Frau für gefallsüchtig und voller Minderwertigkeitskomplexe wegen ihrer Figur und Größe. Vinzent hingegen sieht den modern gestylten Josch mit Argwohn und Skepsis. Ihn nerven die ständigen Vegetarierwitze und vor allem die ausgeprägte Sucht, Denglisch zu sprechen. Auch Nicole, die sich immer die falschen Männer aussucht, versucht durch die englischen Worten in ihrem Wortschatz mehr herzumachen.
Durch die inneren Monologe wissen die Lesenden immer mehr als ihre Protagonisten. Als sich dann jedoch ein ziemlich enges, auch sexuelles Verhältnis zwischen Josch und Lucy entwickelt, kippt die Harmonie im Restaurant langsam in die Schieflage. Und dann will Vinzent noch der ahnungslosen Irma sein Haus vererben und besorgt um ihren Altenstand und ihre möglicherweise mickrige Rente, sie auch noch heiraten.
Drei Generationen, die unter einem Dach arbeiten, sorgen für Konflikte, die sich auch auf die Gesellschaft allgemein übertragen lässt. Keine Frage, die Manie vieles auch falsch aus dem Englischen in die deutsche Alltagssprache zu übernehmen, beunruhigt, verunsichert und nervt nicht nur Ingrid Noll mit ihren achtundachtzig Jahren. Mit ihren ambivalenten Figuren, die durchaus mal sympathisch, mal sehr unsympathisch sein können, verbringt man aber gern viel Zeit und ist enttäuscht, wenn der Roman endet.