Tim Sullivan: Der Kriminalist, Aus dem Englischen von Frauke Meier, Blanvalet Verlag, München 2024, 512 Seiten, €12,00, 978-3-7341-1169-3

„Aber Cross war nicht in Stimmung auf das ‚Wir lernen angemessenes Benehmen‘ – Spiel mit Ottey einzusteigen. Er musste diesen Fall knacken. Dies war einer jener Punkte, an denen er wusste, dass sie der Lösung wirklich nahe waren; extrem nahe, lächerlich nahe.“

Der eigenwillige Ermitter George Cross ist bei der Polizei in Bristol bekannt für seine legendäre Befragungstechnik und das hat seinen Grund, denn Cross ist ein gnadenloser Analytiker, ein kluger Kopf, hat ein fotografisches Gedächtnis, empfindet aber keine Empathie für denjenigen, der ihm gegenüber sitzt. Er muss aus der Mimik, auch seiner Kollegen, erahnen, was ein Mensch fühlt. Sarkasmus kann er nicht verstehen, er mag keine körperliche Nähe und er hält sich nahezu fanatisch an Regeln, die für ihn unumstößlich sind. Kurzum, er bringt alle auf die Palme und macht, insbesondere seine Vorgesetzten und seine Partnerin DS Ottey, ständig wütend. Cross hält nicht viel von Teamarbeit und geht am liebsten eigene Wege, ohne jemanden zu informieren. Schnell wird klar, Cross leidet am Asberger – Syndrom. Allerdings hat er eine glänzende Aufklärungsrate und somit auch Spielräume und als einziger ein eigenes Büro. Als die junge Polizeianwärterin Alice Machenzie Cross zugeteilt wird, legt sie sich nach und nach ein dickes Fell zu, denn ein Danke für gute Arbeit kommt von Cross nie, auch wenn er im Nachhinein darüber nachdenkt, dass er sich vielleicht nicht besonders kollegial ihr gegenüber verhalten hat.
Cross kennt nur seine Arbeit und die Wochenenden mit seinem pensionierten Vater.
Als dann ein Obdachloser in den Downs gefunden wird, scheint für Cross Vorgesetzten alles klar. Das Opfer wurde von einem anderen Obdachlosen stranguliert und schnell wird auch ein möglicher Täter gefunden, mit dem der identifizierte Leonard Carpenter Streit hatte. Doch Cross will sich nicht so schnell zufrieden geben und wie immer hat er recht. Der Obdachlose Carpenter stammt aus einer angesehenen Familie in Bristol. Einst hat er als Zahnarzt gearbeitet, wurde jedoch nach dem gewaltsamen Tod seiner Frau Hilary zum Alkoholiker und verschwand vor sieben Jahren. Die Familie hat ihn schnell für tot erklärt. An dem Fall, der Ermordung von Hilary, arbeitete vor zwanzig Jahren Cross damaliger Vorgesetzte Stuart MacDonald. Cross kann sich noch gut an all die Demütigungen erinnern, denen er durch MacDonald ausgesetzt war. Cross Stoizismus hatte MacDonald nur noch mehr angestachelt, den jungen Polizisten zu schikanieren. Nun ist MacDonald in Pension und nicht gerade erfreut als er von Cross befragt wird, denn dieser ist fest davon überzeugt, dass es zwischen beiden Morden einen Zusammenhang geben muss. Und es stellt sich heraus, dass MacDonald, der den Tod von Hilary nicht klären konnte, bei seiner Arbeit entweder extrem faul war oder etwas vertuschen wollte.

Spannend, und vor allem mit einem fein gesponnenen und überraschenden Plot, liest sich dieser Auftakt einer Krimi-Reihe mit George Cross. Auch wenn Ermittler oder Ermittlerinnen mit Asberger-Syndrom bereits in Filmen oder Büchern auftauchen, ist Cross eine sehr originell angelegte Figur.
Tim Sullivan ist ein bekannter Drehbuchautor und so erzählt er bild- wie dialogreich und auch multiperspektivisch, um seine temporeiche Handlung vor dem Hintergrund von Bristol voranzutreiben, und seine Lesenden wirklich bis zur letzten Seite zu fesseln.

Keine Frage, dieser Autor wird bei Fans von gut geschriebenen Krimis eine Sonderstellung einnehmen.