Caroline Corcoran: Die Vermisste, Aus dem Englischen von Sybille Uplegger, Heyne Verlag, München 2023, 480 Seiten, €16,00, 978-3-453-42711-2

„In Wahrheit besteht die Welt aus zwei Schichten. Da ist die Oberfläche, die wir bereitwillig mit anderen teilen, und die Schicht darunter, die wir geflissentlich ausblenden, ….Die echten Wahrheiten kommen kaum je auf den Tisch.“

Familie Beach wohnt mit Hund Henry in einem kleinen Haus am Meer. Es scheint die Idylle zu sein, denn nun sind Romilly und Marc auch noch Eltern von einem kleinen Mädchen geworden. Doch kaum entbunden, ist Romilly wie vom Erdboden verschwunden. Schnell ist Romillys eigentlich völlig überforderte, alleinerziehende Schwester von zwei Kindern zur Stelle und kümmert sich energisch um alles. Dabei können die Schwestern sich so gar nicht ausstehen. Loll ist diejenige mit dem Kontrollzwang, die ständig über ihren Ex-Mann wettert und Romilly die entspannte junge Frau, die in einem Café arbeitet und gute Laune verbreitet. Marc spielt in einer Band und arbeitet in einem Musikladen.

Aus seiner Sicht erleben die Lesenden nun, wie er mit der belastenden Situation fertig wird und auf gar keinen Fall bedauert werden möchte. Doch die Gerüchteküche in der kleinen Stadt brodelt. Angeblich leidet Romilly unter einer psychischen Krankheit, einer postpartalen Psychose. Auch Romillys unbeschwerte Mutter, die zur Zeit in Spanien weilt, hatte nach der Geburt ihrer jüngsten Tochter psychische Probleme.

Aufrufe werden gestartet, um Romilly zu finden. Loll hat den Kontakt zur Polizei und Marc macht sich große Sorgen um seine geliebte Frau. Als dann jedoch Steffi, Romillys beste Freundin und Kollegin, eine Nachricht von Romilly mit einer seltsamen Botschaft erhält, beginnt die Geschichte an Tempo zu gewinnen.

Zu lang umkreist Caroline Corcoran den besorgten Ehemann und seine schwierige Situation mit einem Neugeborenen. Der Konflikt, der dann ins Zentrum rückt, wird die Sicht des Ehemannes um hundertachtzig Grad drehen. Oder leidet Romilly wirklich unter Depressionen? Adam, der Freund von Steffi und bester Kumpel von Marc, wird Romillys Spur Richtung Frankreich folgen und sie auch finden. Was sie ihm dann zu berichten hat, scheint niemand glauben zu wollen. Wie genau kennt man wirklich seinen Freund oder seine Freundin?

Was weiß man, über die Geschehnisse zwischen Menschen hinter verschlossenen Türen, wenn niemand sich jemandem anvertraut? Wie schwer ist es auch, sich aus toxischen Bindungen zu lösen? Nur die Konfrontation kann Romilly retten, denn das Schweigen und Verschwinden wird ihr nicht helfen.

Keine Frage, Caroline Corcoran hat sich ein leider allzu aktuelles Thema gesucht. Allerdings verweilt sie bei ihrem Seiten starken, sprachlich durchaus überzeugenden Roman zu lang in der Anfangsphase, die nur oberflächlich die Lebensumstände der Protagonisten umkreist. Sehr spät erfahren die Lesenden die wahren Beweg- und Hintergründe der Vermissten. Auch die dramatische Auflösung des Konflikts ist zu simpel gelöst und kaum glaubhaft.