Ruth Rendell: Der Fremde im Haus, Aus dem Englischen von Karin Dufner, Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House, München 2019, 302 Seiten, €14,99, 978-3-7645-0584-4

„Dabei wurde ihm klar, was ihn an Dermots Drohungen am meisten verängstigte. Er fürchtete sich nicht vor dem Einkommensverlust, sondern vor der Demütigung. Mit dieser Schande konnte er nicht leben.“

Carl Martin hat erfolgreich seinen ersten Roman verkauft und sogar das Haus seines Vaters in Falcon Mews geerbt. Als junger Autor weiß er, dass er zu Beginn einer Schriftstellerkarriere kaum vom Schreiben leben kann. So vermietet Carl die erste Etage seines Hauses an einen eher unauffälligen ruhigen Mann namens Dermot McKinnon, der einer regelmäßigen Arbeit in der Sutherland-Tierklinik nachgeht und sogar jeden Sonntagmorgen die Kirche besucht.
Alles läuft bestens. Carl sitzt an seinem zweiten Roman, der ja bekanntermaßen schwieriger zu schreiben ist als der erste. Er hat eine liebenswerte Freundin, Nicola, und die Mieteinnahmen sichern Carls Lebensunterhalt. Allerdings verkündet die Autorin Ruth Rendell schon ab der ersten Seite, dass es Carl auf den folgenden Seiten überhaupt nicht gut gehen wird. Eigentlich wollte Carl schon längst die Schränke von seinem Vater ausräumen. Dessen Leidenschaft bestand im Sammeln von Medikamenten aller Art. Als Carl sich nun mit einer Bekannten, Stacey Warren, einer Schauspielerin mit argen Gewichtsproblemen, trifft, verkauft er ihr, ohne auf die Nebenwirkungen zu sehen, 50 Tabletten von Dinitrophenol. Bei der Einnahme geschieht ein Unglück und Stacey stirbt an Herzversagen.
Eine Katastrophe. Gefunden hat die angebliche „Freundin“ die neugierige Lizzie Milsom, die gern in anderen Wohnungen herumstromert. Eigenartigerweise deponieren Leute ihre Zweitschlüssel in Verstecken unmittelbar in der Nähe ihrer Wohnungstüren.

Durch die Popularität der Serienschauspielerin schreibt die Presse über Staceys Tod. Der unscheinbare Untermieter von Carl weiß von den Medikamentenvorräten, zählt eins und eins zusammen und erpresst seinen Vermieter. Von Stunde an zahlt er keine Miete mehr und Carl, unfähig zu arbeiten und voller Schuldgefühle, beugt sich dem Willen des unsympathischen Untermieters. Der treibt sein Spiel mit Carl nun immer weiter. Mit seiner Freundin Sybil sitzt er im Garten, den er nur auf dem Weg durch Carls Küche betreten kann. Carl vermutet, dass Dermot nun bald das Gästezimmer für sich in Anspruch nehmen wird.
Obwohl Nicola zu Carl gezogen ist, kann sie ihn nicht dazu bewegen, sich gegen Dermot durchzusetzen. Zu groß ist Carls Angst vor einer schlechten Presse.
Lizzie quartiert sich in der geräumigen Wohnung der toten „Freundin“ ein. Sie trägt ihre Kleider und überredet sogar den Erben der Wohnung, der nach nach Asien reist, dass sie weiterhin die Wohnung hütet. Weiterhin erzählt Ruth Rendell von Lizzies Vater, Tom Milsom, der seine Tochter und all ihre Lügen durchschaut. Er ist jetzt Pensionär und um die Tage nicht mit seiner Frau verbringen zu müssen, fährt Tom kostenfrei durch Londons Straßen Bus. Von hier aus sieht er so einiges, bringt aber auch sich selbst in Gefahr.

Inzwischen leidet Carl unter Dermots falschem Lächeln und seiner permanenten Anwesenheit. Längst läuft er nicht mehr leise die Treppe hinauf und er lädt sogar fremde Personen in den Garten ein. Carl braucht die Mieteinnahmen, denn sein Vorschuss auf den zweiten Roman ist langsam aufgebraucht. Es kommt, wie es kommen muss. Carl entschließt sich bewusst oder auch im Effekt zum Äußersten. Nach Dermots Tod regelt sich allerdings gar nichts, denn seine Freundin Sybil zieht nun in Dermots Wohnung ein und behauptet, dass sie mietfrei bei Carl leben dürfe.

In Ruth Rendells Thriller kreist die Geschichte um Distanz und Nähe und ums leidige Thema Wohnen. Verfügen die einen über angemessenen und bezahlbaren Wohnraum, so steht den anderen nur wenig zu. Holt man sich einen Untermieter ins Haus, dann ist nicht garantiert, dass dieser, so wie Dermot, nicht doch in den privaten Räumen nach Geheimnissen schnüffelt oder an Türen lauscht. Seltsam altmodisch liest sich diese beunruhigende und sprachlich einfache Geschichte, der 2015 verstorbenen Autorin. Der Verlauf der Handlung, sowie das Ende sind durchaus vorhersehbar und trotzdem folgt man diesem kammerspielartig aufgebauten Roman mit Vergnügen.