Lucy Goacher – Abgrund – Du weißt, sie ist nicht gesprungen, Aus dem Englischen von Katharina Neumann, Rowohlt Verlag, Polaris, Hamburg 2023, 491 Seiten, €18,00, 978-3-499-00975-4

„Er hat das über Jahre hinweg gemacht: sich ein Mädchen ausgeguckt, sich in den Mann verwandelt, der alles hat, was sie sich je gewünscht hat, und sie dann umgebracht. Vielleicht tut er es immer noch. Aber warum? Ist das eine Art Spiel für ihn? Sammelt er Morde? Oder begeht er die Taten einfach nur, weil er es kann?“

Clementine Harris ist die Ich-Erzählerin dieses Thrillers, der von Anfang an, den Lesenden in die Position des Wissenden katapultiert. Clementines Schwester Poppy, die als introvertierte Studentin kaum Kontakt zu ihren Kommilitonen hatte, hat sich angeblich von den Klippen gestürzt. Keine Frage, es war Selbstmord. Dabei hat Poppy ihre Schwester noch kurz vor der Entscheidung zu springen, in Boston angerufen. Das denkt zumindest Clementine, denn sie fühlt sich nun schuldig. Schuldig nicht ans Telefon gegangen zu sein und schuldig, nicht erkannt zu haben, wie schlecht es Poppy ging. Die Lesenden jedoch wissen, dass Poppy ihren Traummann gefunden hatte. Beide trafen sich in romantischer Glückseligkeit an den Klippen, von denen er sie völlig gefühllos gestoßen hat. Clementine kehrt nach England zurück und arbeitet bei der Seelsorge Helpline, als müsse sie für etwas büßen, woran sie angeblich schuldig ist.

Geschickt lenkt Lucy Goacher, zeitlich versetzt, nun die Aufmerksamkeit und das Misstrauen auf jeden Mann, der sich Clementine nähert. Der Mörder der Schwester hatte vor seiner Tat angekündigt, dass er sehr gern auch Clementine treffen würde. Als dann jedoch Daniel in der Selbsthilfegruppe auf Clementine zugeht, scheinen sich zwei Seelenverwandte getroffen zu haben. Er erzählt vom Selbstmord seiner Schwester Rachel und mutmaßt, dass sie keinen Selbstmord begangen hat, sondern, vielleicht wie Poppy, in den Tod gestoßen wurde.

Clementine beginnt nun in Brighton, Poppys Leben zu rekonstruieren. Sie spricht mit den Studenten, sie befragt jeden, der ihre Schwester kannte. Außerdem hatte Poppy der Schwester einen Umschlag mit Zeichnungen in die USA geschickt, der sie allerdings erst um Wochen später erreichte. Parallel zur Haupthandlung erfährt man von weiteren Frauen, die angeblich Selbstmord begangen haben, woran ihre Familien zweifeln. Außerdem entdeckt Clementine, dass der letzte Anruf von Poppy auf gar keinen Fall von ihr stammen konnte, denn der zu hörende Atem stimmt einfach nicht.

Was steckt hinter all diesen Morden? Was ist das für ein Mann, der Freude am Töten hat?

Ist es der neue Mieter im Haus, der junge Mann im Café oder ein Mitarbeiter bei Helpline?

Düster, etwas bedrohlich und spannend liest sich dieser Thriller, dessen Handlung lang verbergen kann, welcher wirklich armselige Mann hinter den grausigen Taten steckt.