Noa Yedlin: Unter Freunden stirbt man nicht, Aus dem Hebräischen von Helene Seidler, Kein & Aber Verlag, Zürich 2023, 464 Seiten, €26,00, 978-3-0369-5899-6

„Das war der springende Punkt. Es ging nicht um Avischais Ehre und auch nicht um die Nachwelt, es ging vielmehr um Jehudas Buch, er wollte es unbedingt mit dem Vorwort eines Nobelpreisträgers auf den Markt bringen.“

Fünf Freunde, alle Ende sechzig, Anfang siebzig kennen sich schon eine Ewigkeit. Da ist der Wirtschaftsprofessor Amos, der sich immer mit seinem Freund Avischai, ebenfalls anerkannter und äußerst charismatischer Wirtschaftsprofessor, gemessen hat. Sohara schlägt sich als Memoirenschreiberin in Tel Aviv durchs Leben und hat nebenbei über die Zeit immer wieder eine Affäre mit Avischai, die er allerdings nicht publik machen möchte, obwohl eigentlich alle davon wissen. Jehuda ist Geschäftsmann und hat gleich zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit eine Erfindung gemacht, die ihn finanziell absichert. Nun hat er ein Buch geschrieben und hofft auf erneuten Erfolg. Nili ist pensionierte Kinderärztin und mit Nathan liiert, den ihre Freunde irgendwie nicht so richtig achten.

Noa Yedlin lässt nun Sohara, Jehuda, Nili und Amos jeweils aus ihrem Blickwinkel von den Geschehnissen der nächsten sechs Tage berichten. Als Sohara Avischai 2015 in seiner Wohnung aufsucht, findet sie ihn. Er ist tot, Herzinfarkt wahrscheinlich. Als die Freunde sich nun versammeln, sind sie zwar traurig, aber sie wissen auch, dass in der kommenden Woche die Nobelpreisträger verkündet werden. Avischai war als bedeutender Wirtschaftswissenschaftler auf jeden Fall in der engeren Auswahl und somit lassen sich alle von Jehuda, angesichts des möglichen Nachruhms, überreden, den Tod des Freundes zu verschweigen. Leider wird der bedeutendste Preis nicht postum verliehen. Hätten die Freunde geahnt, wie kompliziert das sein wird, hätten sie sicher davon Abstand genommen. Jehuda allerdings investiert sehr viel Energie, denn ihn treibt ein egoistischer Hintergedanke an. Sein Buch „Die Furchtlosigkeit des Erfinders“ findet kaum einen Verlag, wenn nicht jemand Bekanntes es puscht. Avischai hat nach einer Überarbeitung des Romans, finanziert von Jehuda, auch ein Freundschaftsdienst, ein Vorwort geschrieben. Und natürlich würde es in den Medien besprochen werden, wenn ein Nobelpreisträger das Vorwort verfasst hat.

Die Freunde organisieren nun den Ablauf der verbleibenden Tage und versuchen Avischai zumindest in den sozialen Medien lebendig erscheinen zu lassen. Sein SMS-Verkehr bringt allerdings Nili schon mal an die Grenze ihrer Möglichkeiten, denn sie ahnt nicht, dass Avischai möglicherweise ein Verhältnis zu einer jungen Frau hatte, die nun vor der Tür steht. Sie sendet ihm sogar ein Bild, dass eindeutig auf eine Schwangerschaft hinweist. Jeder arbeitet sich nun in Erinnerungen und auf seine Weise an Avischai und der gemeinsamen Freundschaft ab. Die korpulente Nili entdeckt in Avischais Schubladen, die sie neugierig durchwühlt, Süßigkeiten. Doch für wen sollen diese sein, wenn nicht für Kinder, die ihn besucht haben? Dabei hat sich der Freund nie für die Kinder der Freunde interessiert. Nach und nach lüften die vier Freunde Geheimnisse, die allerdings auch mit ihnen zu tun haben und nicht immer angenehm sind. Sohara möchte zu gern, dass sie als die Lebensgefährtin Avischais anerkannt wird. Dabei geht es ihr nicht unbedingt, obwohl sie kaum gut verdient, um die Zahlung, die mit dem Nobelpreis verbunden ist.

Als dann jedoch Ruthi, Avischais Schwester erscheint, haben die Freunde ein echtes Problem. Sie will bei ihrem Bruder übernachten, so wie sie es schon öfter getan hat. Auch davon hat Avischai nie gesprochen. Die Leiche, die, und davor haben alle Angst, bereits etwas riecht, muss aus der Wohnung geschafft werden.

Durch die Gedankenströme der einzelnen literarischen Figuren erfahren die Lesenden viel über deren Leben und Verhältnis zu Avischai. Ist Amos eifersüchtig auf Avischai, da er beruflich bei gleichen Voraussetzungen an ihm vorbeigezogen ist, so quartiert sich Sohara mit ihren Sachen bei Avischai ein, um endlich auch, wenn sie es nicht schon zu Lebzeiten Avischais war, Herrin der Wohnung zu sein. Jeder und jede resümiert im Angesicht des Todes von Avischai über das eigene vergangene Leben, die eigenen Ehepartner, Kinder und deren Werdegang und das was hoffentlich an Lebenszeit noch kommen wird. Es liest sich zum Teil tragikomisch, zum Teil auch traurig, wenn vieles, was die Protagonisten geglaubt haben, nüchtern betrachtet, eigentlich nicht stattgefunden hat.

Slapstikartig geraten die Szenen, in denen die Freunde die Leiche durch die Gegend transportieren und diese dann auch noch überfahren wird und anderes zu erleiden hat. Nichts wird so verlaufen, wie die vier Freunde sich das vorgestellt haben. Aber so ist auch das Leben.

Lebensklug und tiefgründig schreibt die israelische Autorin Noa Yedlin über Freundschaft und über Menschen, die in der letzten Hälfte ihres Lebens weder besonnen, noch rational handeln und sich letztendlich in unmögliche Situationen begeben und doch zusammenhalten.