Elena Fischer: Paradise Garden, Diogenes Verlag, Zürich 2023, 346 Seiten, €23,00, 978-3-257-07250-1

„Und sie schloss meiner Großmutter die Tür auf, obwohl manche Türen geschlossen bleiben sollten. In dem Moment, als meine Großmutter unsere Wohnung betrat, hielt ich die Luft an und atmete nicht wieder aus.“

Die vierzehnjährige Billie führt als autodiegetische Erzählerin durch die Geschichte, indem sie rückblickend von ihrem Leben mit der geliebten Mutter und der Suche nach dem Vater berichtet. Mit ihrem Debütroman, der auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis zu recht gelandet ist, schafft es Elena Fischer, dass man sich sofort in Billie und ihre Mutter Marika verliebt. Das Mädchen lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter, die die kleine Familie recht und schlecht als Putzfrau und Kellnerin durchbringt, in einer Hochhaussiedlung. Hinter ihrem Haus haben alle möglichen Leute ihren Dreck ausgekippt. In der Wohnung, am Monatsende gibt es nur Nudeln und Ketchup zu essen, stehen nur Möbel vom Sperrmüll oder Aufgesammeltes von der Straße. Ihr ganzer Stolz ist der alte Nissan, obwohl der TÜV längst abgelaufen ist und die Beifahrertür nicht mehr schließt. Wenn es ihnen gut geht oder Billie Geburtstag hat, dann machen sie einen Ausflug ins Möbelcenter, sie fahren an einen See oder sie leisten sich den riesigen Eisbecher mit dem schönen Namen Paradise Garden. Billies Mutter stammt ursprünglich aus Ungarn. Sie erzählt wenig über ihre Vergangenheit und wer Billies Vater ist, bleibt ein Geheimnis. Sie verliebt sich schnell und entliebt sich schnell. Nichts ist für sie so wichtig, wie die eigene Freiheit. Für ihre Tochter würde sie alles tun und Billie liebt niemanden so sehr wie die Mutter, die ihr sehr viel zutraut, sogar den Sprung vom 10-Meter-Turm im Freibad. Sie sind ein eingeschworenes Team, auch wenn Billie ab und zu klaut, und sie leben mit den hilfsbereiten Nachbarn, die auch so ihre eigenen Probleme haben, in Harmonie. Als sie dann zu etwas Geld kommen, planen die beiden ihren ersten langen, vierwöchigen Urlaub. Für Billie ein Traum, zumal ihre beste Freundin Lea mit ihren gut betuchten Eltern überall hinfahren kann. Wenn Billie etwas hasst, dann ist es das falsche Mitleid von Leas Mutter. Aber Lea ist auch nicht besser.

„Erst später wurde mich klar, dass die Sache mit Lea nur auf den ersten Blick eine normale Freundschaft war. Meine Freundschaft mit Lea war wie ein Haus mit Treppen, die nirgendwohin führten, und mit Türen, hinter denen ein Abgrund lauerte.“

Doch der Traum vom Urlaub platzt, als die kranke, ziemlich garstige Großmutter aus Ungarn vor der Tür steht. Sie verdrängt Billie aus ihrem Zimmer und beschäftigt alle mit ihrer geheimnisvollen Krankheit. Als Billie bemerkt, dass die Großmutter ihre Berge an Pillen in die Toilette spült, kommt es zu einem riesigen Krach und unverzeihlichen Handgreiflichkeiten, bei denen Billies Mutter unglücklich stürzt und kurze Zeit später verstirbt.

Von Anfang an, wissen die Lesenden, dass die Vierzehnjährige die Mutter verlieren wird. Sie wissen aber auch, dass das Mädchen all ihren Mut und ihre Lebenskraft aus der unvergesslichen Gemeinschaft mit ihrer Mutter zieht. Warum Billie jedoch immer ans Meer wollte, dass weiß sie selbst nicht. Sie wird all ihre Beobachtungen ihrem Notizbuch anvertrauen, denn Billie will Schriftstellerin werden. Und sie wird über ihre Suche nach dem Vater, immerhin kann sie Auto fahren, berichten, von dem, so glaubt Billie, ihre Mutter in einer kleinen Kiste eine Muschel und ein Foto und Deutschzertifikate von einer Volkshochschule in einem Ort an der Nordsee aufgehoben hat.

Wunderbares Buch, auch für sehr junge Lesende, die vielleicht durch Billies Geschichte verstehen, was im Leben wirklich wichtig ist.