Ragnar Jónasson, Katrín Jakobsdóttir: Reykjavík, Aus dem Isländischen von Andreas Jäger, btb Verlag, München 2023, 352 Seiten, €23,00, 978-3-442-76259-0

„War Lára auf der Insel gestorben? Julia hatte ihm tatsächlich zwei Dinge verraten: erstens, dass Lára am Samstagabend getötet worden war, und zweitens, dass ihr Tod irgendwie mit einer Frau namens Arnfriður Leiftsdóttir zusammenhing.“

Auf der einsamen, drei Kilometer langen Insel Viðey wohnte im Jahre 1959 ein Ehepaar, Ólöf und Òttar Blöndal. Über den Sommer des Jahres 1956 arbeitete bei ihnen die sechzehnjährige Lára Marteinsdóttir als Haushaltshilfe. Aus welchen Gründen auch immer hatte sie sich entschlossen, die Insel zu verlassen. Die Blöndals ließen sie ziehen, allerdings ist das Mädchen nie in Reykjavík angekommen.

Láras Eltern bestätigten, dass sich die Tochter immer bei ihnen gemeldet hat und es keine Auseinandersetzungen gab. Als der Ermittler Kristján Kristjánsson auf die Insel fährt und das Ehepaar befragt, sind deren Reaktionen eher ungehalten und gleichgültig. Gründlich sucht die Polizei die Insel ab, doch von Lára können sie nichts entdecken. Jedes Jahr wird dieser Fall nun wieder aufgerollt, insbesondere durch Artikel in der Presse. Für Kristján Kristjánsson bleibt Láras Verschwinden eine offene Wunde und ein Beleg für sein Versagen. Er behauptet gegenüber einem Journalisten sogar, dass Lára durchaus noch leben könnte.

Dreißig Jahre später befasst sich der ehrgeizige, junge Zeitungsjournalist Valur Róbertsson mit Láras Geschichte, die auch Kristján Kristjánsson immer noch bewegt. Doch nun ist Òttar Blöndal in der isländischen Gesellschaft hoch anerkannt und somit unantastbar. Dass zu dem Zeitpunkt des Verschwindens von Lára sich doch noch weitere Personen auf der Insel aufhielten, die ebenfalls zum einflussreichen Netzwerk des Rechtsanwaltes gehören, weiß der Ermittler. Valdur wird nun mit seinen möglicherweise völlig sinnlosen Recherchen beginnen, da sein Chefredakteur bei Ergebnissen auf eine höhere Auflage der Zeitung hofft. Dass ein Gewaltverbrechen vorliegt, schließt niemand mehr aus. Als Valdur dann einen Anruf von einer gewissen Julia erhält, die behauptet, zu wissen, wo Lára begraben liegt, beginnt die Geschichte an Fahrt zu gewinnen. Vor dem Hintergrund der 200 – Jahr – Feier Reykjavíks und dem Gipfeltreffen von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow im Jahre 1986 in Islands Hauptstadt entwickelt sich nun die Suche nach dem toten Körper des Mädchens. Um das Interesse noch mehr zu schüren, hatte der Chefredakteur von Valdur sogar angekündigt, dass eine Enthüllung im Lára-Fall in Kürze bevorstehe. Doch dann wird Valdur gewaltsam vor einen Bus gestoßen und verstirbt. Damit jedoch endet die Recherche nicht, denn seine Schwester Sunna, die zu Valdur ein sehr enges Verhältnis hat und immer über seine Arbeit informiert war, wird weiter alle Beteiligten befragen und Lára finden.

Wie kann man das Wissen um ein Gewaltverbrechen über Jahre für sich behalten? Wie verdrängt man Schuld, wenn man noch ein Gewissen hat? Ragnar Jónasson und Katrín Jakobsdóttir beleuchten eine Gesellschaft, in der der gesellschaftliche Aufstieg seine Tribute fordert und aus Männern Monster formen kann.

Routiniert geschriebener, durchaus spannender Krimi!