Steffen Schroeder: Mein Sommer mit Anja, Rowohlt Berlin, Hamburg 2020, 204 Seiten, €20,00, 978-3-7371-0071-7

„Einmal strich Anja mir über den Arm. Und diese kleine Berührung freute mich mehr als Geburtstag und Weihnachten zusammen. Als ich später ihren linken Unterarm berührte, zog sie ihn zurück. Verunsichert sah ich auf und erkannte die frische Narbe an ihrem Donnerarm.“

Weit liegt er zurück in den 1980er Jahren, dieser Sommer mit Anja, an den sich Konrad Markus Feldmann erinnert. Seine Frau hat ihn nach fünfzehn Jahren Ehe verlassen und nun ploppen sie auf, die Bilder dieses einen Sommers in München als Konrad vierzehn Jahre alt war und zum ersten Mal verliebt. Als Erzähler beschreibt Konrad, den sein Freund Holger Konni nennt, die unbeschwerten Tage im Schwimmbad (Er durfte, ohne Eintritt zahlen zu müssen, einfach so hineinlaufen ins Paradies unweit seines Wohnhauses.) und das Flaschensammeln, um sich Wassereis zu kaufen. Der siebzehnjährige Holger trägt immer die gleichen Klamotten, schwarze Cordhose und weißes Polohemd. Holgers Mutter erzählt Konrad, warum bei ihrem Kind alles ein bisschen langsamer läuft. Grund war der Sauerstoffmangel während der Geburt.
Konrad schert sich nicht um das Getuschel und das hämische Lachen der anderen, er nimmt Holger so wie er ist, fast immer fröhlich, naiv und vor allem absolut ehrlich. Seit Konrad die Erfahrung gemacht hat, dass Julian, der immer nur rauchen will oder sich durch irgendwelche hanebüchenen Drogen-Dosierungen einen Kick verschaffen möchte, seine Eltern belügt und Konrad alles in die Schuhe schiebt, schätzt er Holger um so mehr.

Als sich Konrad und Holger einen Unterschlupf, ihr Lager, bauen, bemerken sie schnell, dass noch jemand anderes sich mit seinen prallen Tüten breit macht. Es ist Anja, sie ist aus dem Kinderheim Espenhain fortgelaufen, über deren Bewohner niemand freundlich spricht. Sogar Konrads Eltern warnen vor den angeblich „Kriminellen“. Konrad und Holger jedoch mögen Anja, sie liebt die Natur, kennt sich unglaublich gut mit Vögeln aus und kann auf jeden Baum klettern. Anjas Klamotten sind alt, sie trägt ihre Haare kurz und interessiert sich nicht für irgendwelche Boygroups. Sie hat keine Angst, immerhin schläft sie nachts im Lager.
Die Jungen wissen, dass sie über Anja nichts erzählen dürfen. Nach und nach nähern sich Konrad und Anja, tauschen Vertrautheiten aus. Abends lässt sich Anja von Konrad Märchen und Geschichten erzählen, die sie in den Schlaf begleiten. Konrad würde Anja gern vieles fragen, aber sie wehrt ab. Sie berichtet, dass ihre Mutter tot ist und der Vater auch. Aber bevor ihr das über die Lippen kommt, zögert sie. Sie raucht, ist sehr natürlich, hat Narben auf dem Unterarm und eine Zahnlücke.
Vieles an Anja verunsichert Konrad, aber er sieht auch, wie das Mädchen liebevoll mit Holger umgeht, sogar versucht ihm das Schwimmen beizubringen. Kleine Zeichen deuten auf eine Entfremdung zwischen Anja und Konrad hin, die er nicht sehen kann. Der Tod Anjas wird diesen Sommer beenden. War es eine Mutprobe, Selbstmord oder ein Unglück?

Das Wort zärtlich fällt einem ein, wenn man diesen Roman liest. Ein pubertierender Junge verliebt sich in ein streunendes, mutiges, aber auch verlassenes Mädchen. Sie lebt viele Freiheiten, die er bisher nicht vermisste und so entstand ein Band zwischen beiden Kindern, das am Ende abrupt zerrissen wird.