Oliver Pötzsch: Der Totengräber und der Mord in der Krypta, Ullstein Verlag, Berlin 2023, 528 Seiten, €16,99, 9783864932199

„Gerade eben hatte es noch zwei Fälle gegeben: Der eine Fall hing mit Reichenbachs Geist zusammen, der andere mit einem Verrückten, der obdachlose Kinder wegen ihrer Schädel entführte. Hier im Wohnzimmer von Signora Vanotti schienen beide Fälle plötzlich miteinander verwoben zu sein. War das möglich?“

Auch im dritten Band „Der Totengräber“ – Reihe, die am Ende des 19. Jahrhunderts spielt, dreht sich wieder alles um den Totengräber Augustin Rothmayer, den leitenden Inspector Leo von Herzfeldt und die Tatortfotografin Julia Wolf. Leo und Julia, zwei Liebende sehr unterschiedlicher Herkunft, sind ein Paar, was allerdings in der Wiener Polizeidirektion nicht publik werden darf. Allerdings weiß Oberpolizeirat Moritz Stukart Bescheid und nutzt sein Wissen auch schamlos aus, denn er ertappt die beiden kurz vor einem gemeinsamen Opernbesuch. Herzfeldt, Jude wie Stukart, soll einen wichtigen Fall übernehmen, den der prollige Judenhasser Oberinspektor Paul Leinkirchner nicht in die Finger bekommen soll. Ermordet wurde Dr. Theodor Lichtenstein, ein guter Freund von Stukart, ebenfalls Jude und umstrittener Gegner der aktuell gerade angesagten Séancen im wohlhabenden Häusern. Gefunden wurde der Leichnam während einer illegalen Führung durch die Katakomben unter dem Stefansdom. Zeitgleich mit der Polizei taucht auch der Chefreporter des Neuen Wiener Journals auf. Harry ist ein Bekannte aus Julias Jugendzeit. Beide haben sich in Wien wiedergetroffen und nun versorgt Julia, auch um etwas dazuzuverdienen, mit Informationen. Bei diesem Fall allerdings hat sie geschwiegen und Harry erhielt einen anonymen Brief.

Lichtensteines Tod wirft viele Fragen auf. Zu Julias Entsetzen taucht auf dem Foto vom Toten auch noch ein schwebender Geist auf, ein Bild sozusagen vom Alchimisten Karl von Reichenbach, der sich wissenschaftlich jedoch eher mit Magnetismus und Mesmerismus beschäftigt hat. Diese Geistergeschichte ist natürlich Gold für die Journaille und bringt Julia in arge Schwierigkeiten, zumal sie von Leinkirchner, der auch noch Frauenhasser ist, mit Harry in einer Gastwirtschaft gesehen wurde.

Auf jeden Fall muss Herzfeldt nun herausfinden, wer Vorteile vom Tod des Opfers haben könnte. Zum einen ist da Claire Pauly, die mit ihren Spukgeschichten vor allem die naive Diva und Sopranistin Maria Vanotti ausnimmt. Zum anderen hatte Lichtenstein auch andere sogenannte Spiritisten lächerlich gemacht. Da der Totengräber Augustin Rothmayer vom Zentralfriedhof wiedermal an einem Buch schreibt, ist auch er eine gute Quelle für die Erforschung der Hintergründe aller Spukerscheinungen, zumal das Opfer sich mit seiner eigenen Zigarette vergiftet hatte, in der sich Blausäure befand.

Als zweiten Fall stoßen die Ermittler auf tragische Vermisstenfälle. Mag es die Wiener Polizei kaum kümmern, wenn Jungen aus dem Waisenhaus verschwinden, so muss sie doch der offensichtlichen Entführung des elfjährigen Alexander Cerny aus gutem Hause nachgehen. Zwar meint Ermittler Leinkirchner, der Junge sei einfach nur abgehauen und würde schon zurückkommen, doch da irrt er.

Doch dann wird auch noch der Geisterfotograf im Prater, Gustav Meyerling, ermordet. Fragt sich, was dieser wusste und wer noch in Gefahr ist. Inzwischen ist auch die Mutter von Herzfeldt aus Graz anreist und logiert im Schlosshotel am Cobenzl, dem Ort, wo einst das Schloss des Freiherrn von Reichenbach stand. Angelockt vom obligatorischen Schlossgespenst wohnt dort auch der berühmte Arthur Conan Doyle, der es doch zutiefst bedauert, dass er seine „Sherlock Holmes“ – Bände nicht weiterschreiben kann. Als dann Kinderschädel auftauchen, scheint der allgemeine, wohlige Grusel sind eher in Entsetzen zu verwandeln.

Oliver Pötzschs literarische Figuren sind absolut lebendig und wie immer schreibt er atmosphärisch dicht, und vor allem, was den Zeitgeist angeht, genau recherchiert über natürlich fiktive Morde, die mehr als grausam sind. Wie wenig die Wissenschaft jedoch zu diesem Zeitpunkt vorangeschritten war, und die Menschen eher Scharlatanen glaubte, ist leider Tatsache. Kurze Einblendungen über wahre Zeitgenossen, die im Café Central sitzen, wie Hugo von Hofmannsthal oder Sigmund Freud, beleben den sehr unterhaltsam geschriebenen Krimi.