Iben Akerlie: Lars, mein Freund, Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger, Deutscher Taschenbuch Verlag, Reihe Hanser, München 2018, 252 Seiten, €12,95, 978-3-423-64039-8

„Ich will nicht, dass ich selbst mit hineingezogen werde. Mir wäre am liebsten, das Problem würde sich von alleine lösen, alles würde sich auf magische Weise klären und in Luft auflösen, ohne dass ich auch nur einen Finger krummmachen oder auch nur Stellung beziehen müsste.“

Als die Schule wieder beginnt, teilt die Klassenlehrerin, Frau Nielsen, den Schülern sogenannte Patenkinder zu. Amanda, Sari und Kay sind Freunde und freuen sich auf die neuen Erstklässler.
Aus Amandas Sicht wird diese Geschichte erzählt, die für junge Leser sicher sehr viel Diskussionsstoff enthält. Amanda ist unsterblich in Adam verliebt, aber der hat nichts besseres zu tun, als sie mit Sprudelwasser nass zu spritzen. Allerdings kühlt das Amandas Liebe nur ein bisschen. Stocksteif steht sie vor Adam und bekommt einfach keinen Ton heraus, wenn sie aufgeregt ist. Sari und Kay sind sauer auf ihre nervigen Mitschüler, aber auch auf Anna und Christina, die nur rumgackern und alle Leute fotografieren oder filmen.

Als Frau Nielsen Amanda eröffnet, dass sie sich, weil sie schon so verständig und reif sei, um den neuen Mitschüler mit Down-Syndrom kümmern soll, möchte das Mädchen am liebsten im Erdboden versinken. Sie hasst es, Aufmerksamkeit zu erregen, sie möchte einfach nur in der Masse der Schüler untergehen. Klar ist, Amanda fürchtet sich gemobbt zu werden. Warum ihre Klassenlehrerin sie ausgewählt hat, bleibt fraglich. Sari reagiert auf Lars, den behinderten Jungen, ganz natürlich und normal. Amanda kann sich nicht wehren, nicht gegen ihre Gefühle und auch nicht gegen die Entscheidungen von Erwachsenen.

Als sie Lars dann kennenlernt, ist alles gar nicht so schlimm. Sie schreibt ihm einen Brief, geht mit ihm einmal die Woche nach Hause und ist fasziniert von seiner Spielfreude. Lars ist ein großer Harry-Potter-Fan und Zauberformelerfinder. Amanda mag auch Bent, Lars Vater. In der Schule jedoch zeigt sich Amanda nie mit Lars, denn sie spürt, auch die unsichere Frau Nielsen hat keine Ahnung, wie sie mit Lars umgehen soll.

Als Amanda bemerkt, dass Anna und Christina immer wieder Lars filmen und sich über ihn totlachen, ist sie verunsichert. Sie greift nicht ein. Tief in ihrem Inneren möchte sie zu den coolen Mädchen in der Klasse, die nur mit ihren Smartphones spielen, dazugehören.

Und dann entdecken Amanda und Sari, dass ihr Freund Kay von den beiden Mädchen eine SMS bekommt. Es geht um einen Blog, der retardedmuch heißt. Sari will sofort die Lehrerin informieren, denn auf dem Blog machen sich die Mädchen und alle die Zugang dazu haben über Lars und seine Behinderung lustig. Amanda jedoch möchte nicht, dass Lars von den fiesen Attacken der Mädchen erfährt. Sie spricht sie mit großer Überwindung an und plötzlich dreht sich das Blatt und Amanda selbst gibt Anna und Christina Blödelfotos von sich und Lars. Allerdings hat sie sich herausgeschnitten. Wenn das kein Verrat an ihrer Freundschaft zu Lars ist? Die Rache folgt auf dem Fuße. Die Mädchen bauen die Fotos in eine Lehrerpräsentation mit ein und stellen Amanda als die schlimmste Mobberin der Schule hin.

Amanda erzählt alles ihrer Lehrerin und nun ist sie nicht nur die Mobberin, sondern auch noch die Petze. Alle distanzieren sich von dem Mädchen, die Lehrerin kassiert die Handys ein und die beteiligten an der Website über Lars müssen regelmäßig mit einer Sozialarbeiterin sprechen. Lars jedenfalls ist zutiefst enttäuscht von seiner vermeintlichen Freundin. Sie hat sich durch ihre Angst vor den Urteilen der anderen selbst in die Isolation getrieben. Niemand redet mehr mit ihr. Ein paar Strafen werden ausgesprochen, aber Anna und Christina lachen nur darüber. Sie haben nicht das geringste Unrechtsbewusstsein, ganz im Gegenteil. Nur Amanda leidet schrecklich, dabei war sie gar nicht mal die Anführerin. Wie kann sie ihren Fehler wieder gut machen? Wie kann sie Lars‘ Vertrauen wiedergewinnen? Amanda traut sich nicht, Sari anzusprechen, nur zu Kay bekommt sie wieder Kontakt. Beide überlegen sich, wie sie Lars davon überzeugen kann, dass es ihr leidtut. Amanda muss ihre Angst überwinden und sich in einer öffentlichen peinlichen Zurschaustellung so richtig blamieren, denn nur so, das ist der Plan, kann eine Entschuldigung glaubwürdig sein.

Diese lebensnahe Schulgeschichte berührt ungemein, denn aus Amandas Sicht wird klar, wie Gruppendynamik in Klassen funktioniert und wie schwer es ist, sich mit Courage gegen den Strom zu stellen. Lars hat genug Selbstbewusstsein, um zu erkennen, dass er durchaus etwas Besonderes ist. Er hat in der Klasse nichts zu lachen, denn niemand, später allerdings Adam, wendet sich ihm wirklich zu.

10 000 Kinder in Norwegen haben diese Geschichte von Lars und Amanda zu ihrem Lieblingsbuch erkoren. \r\n\r\nEine Frage habe ich mir Betrachten des Buchcovers sofort gestellt, warum zeigt der Verlag keinen Jungen mit Down-Syndrom? Niemand ahnt, wenn er den Waschzettel nicht liest, wer wirklich im Zentrum dieser durchaus nicht harmlosen Freundschaftsgeschichte steht.