Johan Bargum: Nachsommer, Aus dem Schwedischen von Karl-Ludwig Wetzig, mareverlag, Hamburg 2018, 142 Seiten, €14,99, 978-3-86648-260-9

„Es war natürlich eine Ausflucht. Ich habe einfach noch immer eine Heidenangst vor ihm wie seit jeher.“

Die Mutter von Olof und Carl liegt im Sterben. Sie will unbedingt in das Landhaus zurück, wo auch ihr Mann vor vielen Jahren gestorben ist. Onkel Tom, der Freund und Liebhaber der Mutter, der auch die Jungen hat aufwachsen sehen, informiert Olof. Er muss nun den um zwei Jahre jüngeren Bruder Carl in den USA anrufen. Seit gut zehn Jahren haben die Geschwister keinen Kontakt mehr.

Olof, der sich in Zeitsprüngen an seine Kindheit erinnert, fällt dieser Anruf schwer. Wenn sich Carl äußert, dann sind alle seine Worte in einem Kommandoton, leicht gereizt, unsympathisch. Als die Familie am Flughafen ankommt, ist klar, dass Carl in gut einer Woche wieder zurückfliegen will.

Als gäbe er seiner Mutter, so Olofs Gedanken, nur eine Woche zum Sterben.

Obwohl Carl der Jüngere ist, scheint er derjenige zu sein, der immer genau wusste, wie er sich gegen den älteren Bruder durchsetzen kann, wie er genauestens seine Karriere plant, die in Finnland nicht vorangehen kann. In den Augen der Mutter war Carl der Liebling und Olof derjenige, der die Schuld nie auf den kleinen Bruder schieben durfte. Olof erinnert sich an Kraftproben zwischen den Brüder, in denen er immer der unterlegene war. Hatte Olof sich bereits auf den Weg zu einer geisteswissenschaftlichen Karriere aufgemacht, so strauchelte er doch und blieb liegen.

In der Strandvilla leben nun alle unter einem Dach, zum einen Olof, Onkel Tom, die Mutter und die Diakonisse Schwester Heidi, zum anderen Carl mit seiner Frau Klara und den Söhnen Sam, zwölf Jahre und Sebastian, acht Jahre. Den hyperaktiven Sebastian schließt nur Heidi in ihr Herz, die anderen beobachten nur mit Erstaunen, wie der Junge in Kürze alles kurz und klein schlägt.

Auch Carl bedrängt alle mit seinen Umbauplänen und seinem Aktionismus.

Zwischen Olof und Carl herrscht eine ablehnende Stille und Anspannung. Im milden Spätsommer scheinen alle auf den Tod der Mutter, die sich in ihrer maßlosen Anhänglichkeit ihrem jüngeren Sohn gegenüber recht seltsam verhalten hat, zu warten. Olof sieht nun seine Schwägerin Klara wieder. Mit ihr hatte er eine kurze heftige Affäre, nach der sich Klara endgültig für Carl und die USA entschieden hatte. Olof hat nicht um sie gekämpft. Er hat wieder vor dem jüngeren Bruder gekuscht, sich klein gemacht, sich verleugnet.

„Anstatt sie zu überreden, zu bitten, sie einzuschließen, zu entführen, zu rauben, habe ich mich hinter einer Rüstung aus Feigheit, Angst und Konvention versteckt.“

Voller Melancholie umkreist der finnisch-schwedische Autor Johan Bargum die letzten Tage der Mutter. Mit wenigen aufgeladenen Sätzen und kurzen Szenen aus der Kindheit der Jungen charakterisiert er seine Figuren und verdeutlicht dem Leser die offenen Konflikte, die nie gelöst werden. Sogar bei der Testamentseröffnung wird der schmerzlich abwesende Carl von der Mutter übervorteilt, obwohl dieser eher glaubte, er sei enterbt. Bitter klingt diese Geschichte, in der die Familie ohne Bindungen und Gefühle wie ein Kartenhaus zusammenfällt.