Judith Arendt: Helle und die kalte Hand, Der zweite Fall für Kommissarin Jespers, Atlantik Verlag bei Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 2019, 302 Seiten, €16,00, 978-3-455-00657-5



„Sie dachte an den Toten oder die Tote dort im Sand. Jede Leiche bedrückte sie und schon gar jeder Mensch, der durch Gewalt ums Leben gekommen war. Aber die Vorstellung, dass jemand dort draußen lag, ganz allein, unter Tonnen von Sand begraben, eng, dunkel, kein Licht, keine Luft – sie hoffte so sehr, dass der Mensch bereits tot gewesen war, bevor er in seinem kühlen Grab eingeschlossen wurde.“

Diese Hoffnung von Ermittlerin Helle Jespers wird sich leider zerschlagen, denn die Tote, eine junge Frau asiatischer Herkunft, ist auf der Flucht in die Wanderdüne gelaufen und verschüttet worden. Helle bekommt überraschend diesen Fall von ihrem dynamischen aber ziemlich altmodischen Vorgesetzten Ingvar zugewiesen. Die fünfzigjährige Polizistin in den quälenden Wechseljahren kümmert sich um ihren alten Hund Emil und lebt mit ihrem Mann in einem geräumigen Haus an der nördlichen Spitze Dänemarks in Skagen. Die Kinder sind aus dem Haus und ab und zu verfolgt Helle auf den Social Media Kanälen, was ihr Sohn Leif so in Thailand treibt. Mit gefüllter Kreditkarte entspannt sich dieser nach dem Abitur und vor dem Studium. Dass er das Sorgenkind ist, schwingt mit, wenn Helle von ihm erzählt.

Auf eine angenehme Weise beschreibt Judith Arendt ihre Hauptfigur, eine kluge Frau mitten im Leben, die vielleicht die Nachfolge von Ingvar antreten oder auch auf der Karriereleiter in Richtung Kopenhagen aufsteigen könnte.
Parallel zu Helles Sandmumien-Fall lernt der Leser die Akteure einer rechten Partei kennen, die eindeutig die Tote kannten und diese auch verfolgt haben. Ihr Name ist Imelda, sie stammt von den
Philippinen und hielt sich mit ihrem Kind illegal in Dänemark auf. Angestellt wurde sie als Haushälterin bei der Schwester der Führerin der Nationalpartiet, der attraktiven Katrine Kjær und ihrem gewalttätigen Mann. Als Imelda fort ist, hat Elin, Katrines Schwester plötzlich ein Kind. Alles scheint faul zu sein im Staate Dänemark, besonders die Sympathien, auch der Mitarbeiter von Helle, für die populistische Partei mit ihren scheinbar so charismatischen Kandidaten.
Helle jedenfalls muss die Soko „Düne“ gründen und erst mal herausfinden, wer die Tote ist und was hinter diesem Fall steckt. Sie stößt auf illegalen, brutalen Menschen- wie Sklavenhandel mitten im hyggeligen Dänemark.

Eine Stärke von Judith Arendt ist die Beschreibung der von der Ostsee geprägten Landschaft und die Verwandlung der Natur im Herbst. Helle kümmert sich liebevoll um ihren alten Hund und wundert sich als ihre Tochter Sina vor der Tür steht. Aber Helle muss sich auch mit ihrem Mitarbeiter Ole auseinandersetzen, der die Ideen der rechten Partei unterstützt und sie beherbergt ihre Kollegin Amira, die ursprünglich aus Afghanistan stammt und endlich den IT-Bereich in Skagen zum Laufen bringt. Ingvar hatte den technischen Fortschritt bei der Polizei doch ziemlich stagnieren lassen.

Der Fall an sich ist kaum aufregend, denn der Leser ist der Kommissarin immer einen Schritt voraus und ahnt, wie die Zusammenhänge sein könnten, die zum Tod Imeldas geführt haben. Als Imeldas Schwester Pilita ebenfalls per Schiff illegal einreist, um Imelda zu suchen, begibt sie sich auf eine gefährliche Mission. Die Doppelmoral der wahren Dänen, die ihren illegalen Arbeitern das Blaue vom Himmel versprechen, ist auch keine Überraschung. Auch die häusliche Gewalt, die hinter den braven Fassaden der Bürger, niemanden etwas angehen, ist nicht neu. Dass die aalglatten Politiker wie Katrine Kjær trotz Dreck am Stecken, dann auch noch gewählt werden, enttäuscht und ist doch, siehe Deutschland, reale Tatsache.

Helle Jespers jedenfalls bleibt ihrer kleinen Skagener Polizeiwache erhalten und wer gern von „normalen“, sehr menschlichen Ermittlern ohne irgendwelche Pseudomacken mit privaten Sorgen und Nöten plus Kriminalfall liest, ist bei Judith Arendt sehr gut aufgehoben.