Eric Berg: Die Toten von Fehmarn, Limes Verlag, München 2022, 414 Seiten, €16,00, 978-3-8090-27263

„Yim hatte es am Abend zuvor so wunderbar und schrecklich präzise zugleich zusammengefasst: Meine Kindheit zerbröselt in diesen Tagen, zum zweiten Mal, und diesmal beteiligte ich mich aktiv an ihrer Zerstörung. Drei tote Freunde, einer im Krankenhaus, drei übrig gebliebene, von denen eventuell einer ein Mörder war.“

Eher selten halten Kinderfreundschaften. Doro Kagel, die Gerichtsreporterin, verbrachte viele Sommer bei ihrer Tante Thea auf der Ostseeinsel Fehmarn in Alt – Petri. Hier fand sie Freunde, mit denen sie auch per Brief von Sommer zu Sommer Kontakt hielt, dann aber alle aus den Augen verlor. Damals hatte Doro das Gefühl, dass ihre Eltern nach dem gewaltsamen Tod des Bruders die Tochter einfach nur los sein wollten. Als dann auch noch Doros Vater aus Kummer Selbstmord beging, entstand eine große Distanz zwischen der verbitterten Mutter und Doro. Nun dreißig Jahre später überrascht Doros Mutter die Tochter mit einer Nachricht über einen ihrer Jugendfreunde. Jan-Arne Asmus, der als Kriegsreporter arbeitete, wurde auf der Insel ermordet. Seine letzten Worte galten Doro. Jan-Arne saß zuletzt im Rollstuhl, denn eine Verletzung in Mali zwang ihn, wieder bei seinen Eltern zu wohnen. Allerdings begann er nach einem seelischen Tief mit Recherchen über drei Kriminalfälle, die, so glaubt Doro, zurück auf der Insel mit Ehemann Yim, sie nun fortführen soll.

Der erste Fall dreht sich um einen toten Vagabunden André Bolenda, den Doro und Maren einst als Kinder im Schilf gefunden hatten. Der zweite Fall wurde ebenfalls nicht aufgeklärt. Mutter und Tochter wurden auf der Autobahn durch einen Stein, der von einer Brücke gestoßen wurde, getötet. Beim dritten Fall geht es um den gewaltsamen Tod 2019 zweier Prostituierter.
Eine wichtige Rolle bei der Klärung des Toten, den einst die Kinder im Schilf gefunden hatten, ist das Geheimnisspiel der Kinderbande, dass Jan-Arne, Pieter, Lutz, Hanko, Annemie, Maren, Poppy und Doro perfektioniert hatten. Jeder hat ein Geheimnis aufgeschrieben, ohne sich zu erkennen zu geben und die anderen mussten es dann aus einem Topf ziehen und vorlesen. So schrieb Poppy, dass sie keine Angst hat. Es wird sich herausstellen, dass sie als Polizistin über eine sogenannte Angstblindheit verfügt. Oder Hanko schrieb, dass seine Mutter ihn nicht geboren hat. Einer oder eine aus der Gruppe jedoch hat geschrieben, dass er / sie weiß, wer Bolenda ermordet hat. Nach und nach trifft Doro nun die Kindheitsfreunde und entdeckt gleich beim ersten Besuch, die tote Maren, die sich offensichtlich selbst gerichtet hat.

Eine reizvolle Mehrstimmigkeit entsteht, wenn immer wieder aus verschiedenen Perspektiven die Lesenden erfahren, was in Vergangenheit und Gegenwart zwischen den einzelnen Figuren und in den Familien geschehen ist. Poppy wird nach einem Treffen mit Lutz, Doro und Yim von einem Auto wie Jan-Arne totgefahren. Je tiefer Doro, die auch selbst in Gefahr schwebt, in die einzelnen Familien ihrer Freunde hineinschaut, um so mehr Geheimnissen kommt sie auf die Spur. Natürlich geht es immer um Geld, Land, Erbschaften, Verletzungen und Verrat.

Auch Doros Verhältnis zu ihrer Mutter ist durch einen boshaften Ton und Kränkungen vergiftet. Zum Glück hat Doro in Yim, ihrem Mann, der durch die Folgen der Pandemie sein Lokal aufgeben musste, einen verlässlichen und standhaften Partner, der an seinem beruflichen Schicksal nicht zerbricht.
Doro maßt sich nicht an, ihre Freunde von damals zu kennen. Zumal sie erfahren wird, wie sehr sie sich in einzelnen getäuscht hat.

Wie dann aber Eric Berg die dysfunktionalen Familienverhältnisse, die Befindlichkeiten der Freunde damals und heute und die Morde in Zusammenhang bringen wird und geschickt immer wieder falsche Fährten legt, ist durchaus lesenswert. Psychologisch feinsinnig entwirft er Charaktere, deren handeln überzeugt.