Zwei Krimis, die in Wien spielen

Christine Neumeyer: Der Kuss des Kaisers, Ein historischer Wien-Krimi, Picus Verlag, Wien 2023, 270 Seiten, €22,00, 978-3-7117-2136-5

„Pospischil atmete aus. Keine Frau hatte ihm je mehr bedeutet als seine Schwester. Kaum vorstellbar, würde man eines Tages ihn zur Identifizierung ihres zerstückelten Leichnams bitten. Er schüttelte das Frösteln von seinen Schultern und eilte heimwärts.“

Wien, im Sommer 1908: Obwohl das Gemälde „Der Kuss“ von Gustav Klimt noch gar nicht vollendet ist, soll der K.u.k. Amtssekretär Josef Krzizek es im Auftrag des Kaisers für jede Summe aufkaufen. Es soll dann nach Fertigstellung im Untergeschoss des Belvederes, und da hat auch Klimt noch ein Wörtchen mitzureden, aufgehängt werden. Hier wohnt der verhasste Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, der so gar keinen Sinn für die Moderne hat. Gustav Klimt ist sich seiner Kunst sehr bewusst und so fordert er wirklich eine hohe Summe, die Krzizek mit den Zähnen knirschend, auch zusagt.

So beginnt der Kriminalroman. Am Ende dreht sich die Geschichte nochmals um das Gemälde, aber warum gerade der Titel des Romans „Der Kuss des Kaisers“ heißt, bleibt ein Rätsel.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht eigentlich die vierzigjährige Erna Kührer, die im Haus des Amtssekretärs wohnt und ihm sexuell dienlich zu sein hat, denn sie verdankt ihm die Wohnung und die Arbeit. Erna arbeitet im Belvedere als Putzfrau, denn ihr Mann Franz, der zur Zeit arbeitslos und auch krank ist, kann die Familie nicht ernähren. Als ihr Sohn Daniel, er ist Anfang zwanzig, plötzlich wieder vor der Tür steht, beginnen die Probleme. Skrupellos verkauft Daniel, der als Spieler und notorischer Lügner auf einem Berg Schulden sitzt, seine zwölfjährige Schwester Klementine an ältere Männer. Als sie beinahe brutal vergewaltigt wird, kann das Kind fliehen, verfällt aber in eine Depression, deren Grund sich die Eltern nicht erklären können. Alles dreht sich in der Familie Kührer um die Existenz. Als Erna Kührer noch eine Stellung bei der Gemahlin des Thronfolgers bekommt, scheint es langsam aufwärts zu gehen.

Doch dann taucht im Brunnen des Belvederes eine menschliche Hand auf und später werden noch weitere Körperteile in einem Leinensack gefunden. Die Polizei schaltet sich ein und der etwas übergewichtige, aber sympathische Chefinspektor Johann Pospischil übernimmt gemeinsam mit dem jungen Polizisten Frisch die Ermittlungen.

Christine Neumeyer beschreibt die Metropole Wien nach der Jahrhundertwende als hartes Pflaster für die arbeitende Bevölkerung, die gegen die Anmaßungen des Adels und der höheren Beamten rechtlos ist.

Wenn Pospischil durch Wien läuft oder fährt gibt es immer wieder Hinweise, z.B. auf das Wohnhaus von Sigmund Freud oder die Aktivitäten rund um die Straßenbahn am Ring oder die latente Judenfeindlichkeit bestimmter Schichten. Bei all seinen Befragungen wird Erna Pospischil bei der Aufdeckung der Identität der Leiche helfen. Sie erkennt ihren Sohn Daniel. Doch dann wird die Familie von einem Bandenmitglied bedroht. Sie sollen die Schulden des Sohnes zahlen. Ein weiterer Mord geschieht, bei dem die Ermittler schnell den Täter ausmachen.

In breitestem Wienerisch wird in diesem Roman kommuniziert, was manchmal ziemlich komisch ist, wäre die Geschichte letztendlich für die Familie Kührer nicht so traurig.

Die Opfer in diesem Roman sind zwar Männer, aber die wahren Leidtragenden sind die Frauen, auf deren Schultern alles ausgetragen wird.

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Ursula Poznanski: Böses Licht, Knaur Verlag, Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur, München 2023, 397 Seiten, €16,99, 978-3-426-22783-1

„Sie glauben mir nicht, hatte er am Ende gesagt. Ich verstehe. Damit hatte er völlig recht gehabt. Sie hatten ihn als narzistischen Selbstdarsteller abgetan, der es nicht ertrug, nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Wie es aussah, hatte sie einen riesigen Fehler gemacht.“

Schauspieler und Schauspielerinnen sind selbstverliebt und egozentrisch. Vor allem gönnen sie dem anderen nicht die internationale Karriere und vor allem nicht den Ruhm. Sie manipulieren, schrecken nicht vor Intrigen zurück, sind neidisch, rachsüchtig und nie zufrieden. So die Klischeevorstellung. Allerdings könnte man denken, dass im besten Haus am Platze, im Wiener Burgtheater, ein anderer Geist herrscht. Doch weit gefehlt.

Während der Theatervorstellung von „Richard III.“ kurz vor Ende fährt der Thron aus der Unterbühne nach oben. Eigentlich sollte er leer sein, doch an diesem Abend sitzt dort eine Leiche. Ermordet wurde Ulrich Schreiber, der allseits beliebte Garderobier des Schauspielstars Jasper Freysam. Warum gerade ihm etwas angetan wurde, kann niemand verstehen. Ermitteln wird die Mordgruppe Zwei des LKA, Fina Plank und ihr verhasster Kollege Oliver Homburg, aber auch Ahmed Kayali. Immer wieder wird die etwas übergewichtige, aber sympathische Fina von Homburg vor anderen bloßgestellt. Sie weiß sich zwar zu wehren, aber genervt ist sie doch mehr als sie zugeben möchte. Als dann auch noch ihre attraktive, allerdings arbeitslose Schwester Calli erneut ihre Gutmütigkeit ausnutzt und kurzerhand einfach in ihre Wohnung einzieht, fehlen ihr die Kräfte, um sich ernsthaft aufzulehnen. Die Befragungen unter den Schauspielern und dem Theaterpersonal führen zu wenigen Ergebnissen, denn der ruhige, wie sehr diskrete Garderobier hatte keine Feinde. Als dann jedoch der nicht gerade beliebte und halbwegs bekannte Schauspieler Ralph Behrend im Park ermordet wird und später auch noch der einstige Lebensgefährte von Ulrich Schreiber nimmt die Geschichte Fahrt auf.

Ursula Poznanski taucht ins Künstlermilieu ein und umkreist alle möglichen Akteure. Jedes Gespräch mit einem Schauspieler wird kompliziert, wenn die Ermittler zu Beginn nach ihren Namen fragen und somit zu erkennen geben, dass sie keine Ahnung vom Theater haben. Und dann sind da die Schmeißfliegen von Fans, die Affären zwischen jungen Schauspielerinnen und Schauspielern, die ihre Väter sein könnten, die neuerdings älteren Schauspielerinnen, die sich gegen jegliche Form des Sexismus im Kollegenkreis auflehnen, gehört werden und gefürchtet sind und die Regisseure, die ohne mit der Wimper zu zucken, heute loben und morgen jeden in den Boden treten.

Erzählt wird dieser Krimi, der in Wien und dann später in Salzburg spielt, aus zwei Perspektiven. Zum einen verfolgt der Lesende die Geschehnisse aus der Sicht der Ermittlerin Fina, zum anderen gewinnt er Einblick sozusagen hinter die Kulissen durch den Regieassistenten, den gutaussehenden David von Lauenburg. Ihm fehlt etwas Selbstvertrauen und so nehmen ihn weder die Regisseure, noch die Schauspieler so richtig ernst. Etwas verknallt hat er sich in die junge, hochtalentierte Schauspielerin Aurora, die jedoch die Karriere im Auge sich eher an Freysam hält. Immer wieder geht es um Animositäten, um Rollen, die bestimmte Leute nicht bekommen haben und Umbesetzungen. Unerklärlich bleiben die Drohungen, die an den Regieassistenten verschickt werden und sogar die Diva des Burgtheaters erreichen. Doch warum musste nun der harmlose wie treue Garderobier und der nicht gerade bedeutende Behrend sterben? Und was hat die ganze Handlung mit „Dantons Tod“, und der neuen Inszenierung in Salzburg zu tun?

Dieser zweite Band nach „Stille blutet“ liest sich spannend. Hier wird bühnenreif gemordet und die menschlichen Tragödien lassen nicht auf sich warten.