Virginia Hartman: Tochter des Marschlands, Aus dem Amerikanischen von Frauke Brodd, Heyne Verlag, München 2023, 464 Seiten, €22,00, 978-3-453-42700-6

„Er schenkte mir die Vögel, und er schenkte mir das Marschland. Irgendwann gab er es auf, mir seine Angeltricks beibringen zu wollen. Er erkannte, was mir an diesem Ort gefiel, und verschaffte mir die Möglichkeit, diese Liebe auf meine Art auszudrücken.“

Als Loni Mae Murrow zwölf Jahre alt war, verlor sie ihren Vater Boyd. Doch war es ein Unfall, hat er sogar Selbstmord begangen? Immerhin hatte er Bleigewichte in den Taschen. Als Ich-Erzählerin nimmt die siebenunddreißigjährige Loni nun die Lesenden auf ihre Reise in die Vergangenheit mit. Weil die Demenz der Mutter weit fortgeschritten ist, kehrt sie von Washington D.C. in die geliebte Landschaft ihrer Kindheit, das Marschland in Florida, zurück. Loni arbeitet im Museum für Naturgeschichte und ihr Spezialgebiet ist das akkurate Zeichnen von Vögeln. Eigentlich wollte sie an einem wichtigen Projekt mitarbeiten, aber nun folgt sie dem Hilferuf ihres viel jüngeren Bruders Philipp. Die Mutter hat sich ihr Handgelenk gebrochen und muss versorgt werden. Lonis Verhältnis zu ihrer Mutter ist ausgesprochen zwiespältig. Kaum angekommen, wird sie auch schon beschimpft und gedemütigt. Ihr Bruder hat inzwischen das Haus der Mutter vermietet, ohne überhaupt mit der Schwester zu sprechen. Auch die raffgierige Tammy, Philipps Ehefrau, hat nichts besseres zu tun, als die Schwägerin zu beleidigen. Als Friseurin scheint sie sich unterlegen zu fühlen und außerdem hat Loni natürlich die schlechtesten Karten, denn sie ist es, die weggegangen ist. Lonis Aufenthalt im Heimatort Tenetkee beginnt unter schlechten Vorzeichen. Wohnen kann sie bei ihrer Freundin Estelle, aber auch hier drängt der Freund von Estelle darauf, dass Loni sich eine Wohnung vorübergehend sucht. Die einzigen, die sich wirklich über Lonis Besuch freuen, sind Bobby und Heather, die Kinder von Philipp.

Im Laufe der Handlung übernimmt Loni eine Zeichenarbeit, die ihr die Freundin aufgebürdet hat und somit fallen viele Vogelnamen und Landschaftsbeschreibungen, denn Loni mietet ein Kanu, um die Vögel zu finden. Ganz nebenher und dann immer intensiver beginnt sie Nachforschungen zum Tod des Vaters, über den nie gesprochen wurde. Als Loni das Tagebuch ihrer Mutter findet, erkennt sie, dass auch die Mutter ihre Geheimnisse hatte. Geht es Philipp nur um die finanzielle Absicherung der Mutter, bei der er nichts zahlen muss, so bemerkt Loni, dass sie für die Mutter nicht lügen kann. Der Bruder möchte gern, dass die Mutter eine Zahlung erhält, weil der Unfall des Vaters während seiner Arbeitszeit geschah. Loni glaubt aber, dass sein damaliger Vorgesetzter, Captain Frank Chapelle, dies nur geschrieben hat, um den Vater zu schützen. Immer wieder taucht Frank auf, wenn Loni im Marschland unterwegs ist. Auffällig ist, dass Loni, je mehr sie über den Tod des Vaters wissen will und Leute befragt, von einem Stalker, einer Stalkerin bedrängt und bedroht wird. Loni deckt viele Ungereimtheiten auf, z.B. dass ihr Vater, der nie obduziert wurde, angeblich eine Kopfwunde hatte. In seinen Papieren findet Loni auch ein Formblatt, dass ein gewisser Lieutnant Daniel Watson beigelegt hat. Er verstarb kurze Zeit nach dem Vater und Watsons Frau erhält aus heiterem Himmel ein Haus geschenkt.

Dass der Tod des Vaters kein Selbstmord war, wird immer deutlicher. Doch warum musste er sterben und was hat Frank Chapelle damit zu tun?

Äußerst weitschweifig schildert Virginia Hartman in ihrem Debüt die Suche nach der Wahrheit mit einer Fülle an handelnden Personen. Keine Frage, faszinierend muss das Marschland mit all seiner Fauna und Flora sein. Doch die Geschichte ist nicht so spannend, dass sie den dramatischen Bogen mit all zu vielen atmosphärisch dichten Beschreibungen der Landschaft und der Vögel und auch Redundanzen über mehr als 400 Seiten halten kann.