John Grisham – Die Entführung, Aus dem Amerikanischen von Imke Walsh-Araya, Bea Reiter, Heyne Verlag, München 2024, 384 Seiten, €24,00, 978-3-453-27429-7

„Praktisch alle anderen anstehenden Verfahren waren extrem langweilige Streitereien vom anderen Ende der Welt und nicht vergleichbar mit einer Klage mit einem Streitwert von einer halben Milliarde Dollar, bei der es um eine Brücke in der Wüste ging und die mittlerweile neben den vier Enthauptungen verschiedene andere Morde und die Verschleppung einer Scully – Juristin nach sich gezogen hatte.“

Was ist ein Menschenleben wert und für welchen Personenkreis werden horrende Summen Lösegeld gezahlt? Wie kann man Millionen von Dollar brutal agierenden Wüstenbanditen aus Libyen in den Rachen werfen, die mit diesem Geld Waffen kaufen, Unruhen anzetteln und grausigste Morde begehen, die sie mit Vorliebe in den sozialen Medien für alle sichtbar, einschließlich Kindern, hochladen?
Was nützt es, wenn viele Länder vorgeben, kein Geld an Terrororganisationen für Geiseln zu zahlen, wenn sie es im Verborgenen dann doch erledigen?
Alles Fragen, die sich während der Lektüre dieses überaus spannenden Romans stellen. Interessant ist, wie John Grisham es immer wieder schafft, die so trockene, aber auch durchaus auch komplizierte und zeitintensive Arbeit von Juristen, die sich durch tausende Seiten Anklageschrift hindurcharbeiten müssen, aufregend und genau in einer atmosphärisch dichten Handlung mit ambivalenten Figuren zu verpacken.
Und wer das Buch „Die Firma“ oder den gleichnamigen Film mit Tom Cruise kennt, der wird sicher noch mehr auf die Fortsetzung gespannt sein.
Mitch McDeere, der Anwalt, der sich vor fünfzehn Jahren durch eine Flucht der Chicagoer Mafia und deren Kanzlei entzog und mit Hilfe des FBI viele seiner damaligen korrupten Mitstreiter hinter Gitter bringen konnte, ist nun einundvierzig Jahre alt. Er arbeitet erneut als Rechtsanwalt in einer renommierten Kanzlei namens Scully & Pershing, ist immer noch mit Abby verheiratet und hat achtjährige Zwillinge, die auf eine außergewöhnlich teure Privatschule gehen. Alles läuft bestens in Manhattan bis zu dem Zeitpunkt, wo einer seiner besten Freunde, Luca Sandroni, der in Rom für die Kanzlei arbeitet, ihm einen Fall übertragen muss. Bereits vom Tod gezeichnet hofft Luca, dass Mitch gemeinsam mit Lucas Tochter Giovanna, sie arbeitet für die Kanzlei in London,
die Schiedsgerichtsbarkeit in Genf anrufen wird, um einen Rechtsstreit zu lösen. Es geht um eine fixe Idee, die sich der libysche Machthaber Gadafi ausgedacht und der türkischen Baufirma Lannak in Arbeit gegeben hatte. Eine riesige Brücke mitten in der Wüste wurde gebaut und nie bezahlt. Nun verklagt die Baufirma die Regierung und immerhin geht es um Millionensummen. Mitch und Giovanna reisen mit Sicherheitsleuten nach Tripolis, um das sinnlose Bauwerk, das Gadafi schon längst nicht mehr interessiert, zu begutachten. Allerdings erkrankt Mitch schwer und die auch abenteuerlustige Giovanna fährt mit den Sicherheitsleuten mitten in eine Falle hinein. Alle Beteiligten an diesem Vorhaben bis hin zu den Fahrern werden auf brutalste Weise ermordet und die junge Frau als Geisel genommen. Die Entführer erwarten eine Lösegeldsumme innerhalb von zehn Tagen in einer Höhe von einhundert Millionen Dollar. Setzen die polizeilichen Kräfte in Libyen nur darauf, die Geisel zu befreien, was nicht funktioniert, so muss Mitch und die Kanzlei alle Hebel in Bewegung setzen, um das Geld aufzutreiben. Eine fast aussichtslose Aktion.
Die Versicherung der Kanzlei wird nicht zahlen, Italien weigert sich und sogar die geschäftsführenden Partner bei Scully & Pershing entscheiden sich gegen ein riskante Bürgschaft für Giovanna, da sie um ihr eigenes Vermögen bangen.
Und dann wird auch noch Mitch und seine gesamte Familie in den Entführungsfall hineingezogen.
Abby wird im Coffeeshop von einer verschleierten Frau angesprochen, die ihr ein Handy und Anweisungen übergibt. Abby weiß nun, dass sie, ihre Kinder und Mitch in jeder Minute unter Beobachtung stehen.
Das Jonglieren mit Unsummen, die nie ein Mensch mit normaler Arbeit zurückzahlen kann, und die Weltläufigkeit der amerikanischen Juristen mag beeindrucken. In Anbetracht der derzeitigen desaströsen Kriege in so vielen Regionen, einschließlich Europa, lassen diese Geschichte, die Anfang des 21. Jahrhunderts spielt, mehr als aktuell wirken. Absolut empfehlenswert!