Sabine Rennefanz: Kosakenberg, Aufbau Verlag, Berlin 2024, 222 Seiten, €22,00, 978-3-351-03969-1

„Dummerweise zählte ein Leben, wie ich es führte, in Kosakenberg gar nichts.“

Kathleen verlässt 1997 nach dem Abitur ganz schnell ihr Zuhause, das kleine, brandenburgische Dorf Kosakenberg. Nach Stationen in Berlin, München und Hamburg findet sie als Grafikdesignerin einen guten Job bei einer angesagten Zeitschrift in London. Immer wieder jedoch wird sie nach Kosakenberg zu ihrer Familie zurückkehren. Ihre jüngere Schwester wird nach ihrer Au Pair – Zeit in Australien nie wieder nach Deutschland reisen, nicht mal zur Beerdigung der Mutter. Kathleens Eltern haben von der Wende kaum profitiert. Der Vater von Beruf Schlosser macht irgendwelche Hilfsjobs und arbeitet manchmal auch schwarz, die Mutter fährt die Post aus. Wenn andere in der Nachwendezeit die günstigen Kredite genutzt haben, um ihr Haus endlich mit einem Dach, Anstrich oder neuer Elektrik auszustatten, lebt Kathleens Familie im Geburtshaus der Mutter weiterhin mit Plumpsklo und Kohleöfen. Die Großmutter hat irgendwann beschlossen, einfach nur im Bett zu bleiben. Für Kathleens Mutter ist bereits ein Urlaub in Österreich eine Zumutung. Sie kann sich kaum von ihrer Scholle trennen, undenkbar für sie ein Besuch bei ihrer Tochter in London. Kathleens Eltern, aber auch die einstigen Schulfreundinnen haben keine Ahnung, womit sie ihr Geld verdient, interessieren sich kaum für die Schwierigkeiten, aber auch das Abenteuer, an einem fremden Ort Fuß zu fassen. All ihre Gedanken kreisen nur um ihr überschaubares Dorfleben mit den immer gleichen Personen und ihre frischen Eiern. Kathleens fünfzigjährige Mutter scheint nicht mal davon betroffen zu sein, dass ihr wortkarger Mann, von dem niemand viel erwartet und den sie geheiratet hatte, weil sie schwanger von ihm war, sie einfach so für eine andere Frau verlässt. Konfrontiert mit den Leben der ehemaligen Schulfreundinnen, die in Kosakenberg geblieben sind, spürt Kathleen ihr Außenseitertum. Die gleichaltrige Nachbarin Nadine jedoch erkennt die Zeichen der kapitalistischen Zeit, kauft nach dem Tod der Großmutter von Kathleen das Haus der Mutter und baut es zu einem Urlaubsort für müde Städter um.
Immer wieder besucht Kathleen, auch mit ihrem wohlstandsverwöhnten Freund aus Argentinien, ihr Dorf. Sie braucht die „Zuhause- Geräusche“, den Zank mit der Mutter und sogar die Eier, die im Dorf sozusagen als Tauschwert in einstigen Kriegs- und DDR – Zeiten ihre guten Dienste getan hatten. Die Mutter sendet der Tochter sogar eine Packung nach London.

„Wenn man aus Kosakenberg wegging, entkam man den Eltern, dem Dorf, vielleicht sogar der Vergangenheit, aber den Eiern entkam man nicht. Ich musste lächeln. Die Eier brachten all das zurück, was ich hatte vergessen wollen.“

Sabine Rennefanz lässt ihre Hauptfigur aus der Ich-Perspektive in London leben, doch gedanklich bleibt die junge Frau immer wieder an Erinnerungen hängen. Keine Frage, die Herkunft gehört zur Identität, doch man darf sich nicht von ihr einengen lassen. Warum sich Kathleen je älter sie wird, immer mehr an die ihr doch kaum mehr vertrauten Menschen im Dorf annähern will, bleibt nicht zu Ende gedacht, wie so vieles im Leben. Als Kathleen zur Hochzeit einer einstigen Freundin, zu der sie aber kaum Kontakt hatte, gut angezogen, aber auch nicht zu chic, ins Dorf fährt, wird ihr und auch den anderen ihre Fremdheit sogar schmerzlich körperlich bewusst. Und Lesende fragen sich sicher, warum die „Ausländerin“, so sprechen die Dorfbewohner von ihr, sich das überhaupt antut. So oft wie Kathleen mit ihrer Mutter telefoniert, so viel wird doch auch nie ausgesprochen.
Viele Beobachtungen, die Kathleen äußert, lassen beim Lesen schmunzeln: die Unhöflichkeit der Berliner und Brandenburger, die Direktheit und die unsäglich schrecklichen Klamotten, die sie tragen und die Kritik an den Büchern von Juli Zeh, die ja, oh Wunder, auch noch von Berlin in ein Dorf gezogen ist.