Thommy Bayer: Einer fehlt, Piper Verlag, München 2024, 176 Seiten, €24,00, 978-3-492-07045-4

„Wenn sie zusammen sind, dann wie Familie, vertraut und unkompliziert, man kennt sich und man liebt sich und man lässt die gemeinsame Geschichte dort, wo sie hingehört, in der eigenen Erinnerung. Zu erklären gibt es nichts mehr. Es ist wie es ist.“

Seit gut fünfzig Jahren sind sie Freunde: Paul, der als Lektor in München tätig war, Georg, erfolgreicher Maler und nun Professor an der Wiener Akademie und Schubert, gefragter Komponist für Filmmusiken. Gut situiert genießt Paul noch nicht so richtig sein Rentnerdasein, aus dem er plötzlich herausgerissen wird. Schubert meldet sich und erzählt, dass Georgs Frau Malin gestorben ist. In der Freundesrunde spielte eher Carolin, die Psychologin eine große Rolle. War sie zuerst Pauls große Liebe, so verließ sie ihn und folgte dem charismatischen wie begabten Georg nach Hamburg. Seit Jahren lebt sie nun kinderlos mit dem kreativen Schubert zusammen, zuerst in Berlin-Charlottenburg und nun in einem Haus in Brandenburg. Nach Carolin kam Georg mit Malin zusammen, die sich nie für seine Freunde, auch wenn diese sich um sie bemühten, interessierte. In einer eher herablassenden, schnippischen Art behandelte sie auch Georg. Wie diese Ehe funktionierte, bleibt für alle ein Rätsel. Emotional sind Paul und Schubert kaum involviert als sie vom Tod Malins hören, besorgt sind sie eher um Georg, der weder telefonisch noch über die sozialen Medien erreichbar ist. Möglicherweise tut er sich etwas an, glauben die Freunde und beschließen, dass sie Georg in Wien aufsuchen müssen, um ihm beizustehen. Auf der Autofahrt Richtung Wien erinnert sich Paul, wie er mit fünfzehn Jahren in einem Internat an der Nordsee Georg kennengelernt hat. Auf ihrer gemeinsamen Fahrt nach Rom Jahre später gabeln sie Schubert auf und verbringen mit ihm eher die Tage in Florenz. Sie werden sozusagen Freunde fürs Leben und überstehen auch mit Kontaktpausen ihre Kontroversen, bedingt durch ihre Beziehungen zu Carolin. Alle stehen auf der Sonnenseite, sind finanziell nie in Schwierigkeiten, lieben Italien und werden zusammen älter. Gemeinsame Treffen finden zum größten Teil ohne Malin, die nun alle Freunde ablehnen, statt. Als Malin und Georg dann Eltern werden, kümmern sich, ohne Einwände der Mutter, Carolin und Schubert besonders in den Ferien gern um Ellen, die alle in ihr Herz schließen.
Kaum in Wien angekommen, wird klar, dass Georg weder in seiner Wohnung noch im Atelier anzutreffen ist. Nicht mal Ellen ahnt, wo der Vater sein könnte. Eine neue Spur führt Paul und Schubert nach Ligurien.

Thommy Bayer erzählt in ruhigen Gedankenströmen von der Kraft einer Freundschaft. Paul, Georg und Schubert haben sich nie aus den Augen verloren und ihre Sorge umeinander ist ehrlich. Und natürlich dreht sich zumindest für Paul auch alles um den wohl letzten Lebensabschnitt, mit dem er noch hadert. Liegen nun alle Bücher, die er schon immer lesen wollte auf seinem Tisch, so hat er noch keines in die Hand genommen. Versöhnlich endet dieser schmale Roman, der die Lesenden auf eine Zeitreise mitnimmt und in einen Lebensabschnitt, der von Abschieden geprägt sein wird, aber auch von neuen Entdeckungen.