Satu Rämö: Hildur – Das Grab im Eis, Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara, Heyne Verlag, München 2024, 368 Seiten, €16,00, 978-3-453-42818-8

„In Hildurs Kopf fielen die Puzzlesteine plötzlich an ihren Platz und sie verstand, worum es bei all dem ging.“

Im zweiten Roman über die eigenwillige Kriminalbeamtin Hildur Rúnarsdóttir umkreist Satu Rämö verschiedene Personen in Ísafjörður und deren Aktivitäten zu unterschiedlichen Zeiten in der Vergangenheit, ohne dass die Lesenden ahnen, welche Rolle diese Figuren spielen. Das mag von der dramaturgischen Seite her erforderlich sein, zumal am Ende alles einem Puzzle gleich aufgeht, doch erschwert es den Einstieg in die eigentliche Geschichte. Diese teilt sich allerdings dann für Hildur und ihren sympathischen, finnischen Praktikanten Jakob Johanson, der immer noch voller Leidenschaft Pullover strickt, in zwei Fälle auf. Zum einen wird im Februar 2020 ( Die Pandemie ist bereits auf dem Weg nach Island.) der Leichnam des einflussreichen Kommunalpolitikers Hermann Hermansson auf einer Liope in Westfjorde gefunden, zum anderen erfahren die Lesenden mehr über Hildurs Vergangenheit, insbesondere über das Leben ihrer Mutter mit den Schwestern Rósa und Björk vor dem Verschwinden der beiden kleinen Mädchen. So wie Hildur kann auch ihre Mutter Rakel das Unglück erahnen. Und dann taucht noch eine obdachlose, ziemlich traurige Gestalt namens Dísa auf, die sich gegen die Gewalt der Männer zur Wehr setzen muss und als Putzkraft am Flughafen arbeitet.
Mit dem Ermordeten beginnt natürlich die akribische Polizeiarbeit, die sich zuerst auf die geschäftlichen Bereiche des Toten konzentrieren. Dass Hermann Hermannsson kein angenehmer Zeitgenosse mit vielen persönlichen Feinden war, finden die Ermittler schnellstens heraus. Günstige Käufe, u.a. Grundstücke durch internes Wissen hat sich Hermannsson als Geschäftsmodell zu eigen gemacht, um dann erneut mit dem Verkauf größte Gewinne einzufahren. Mit entsprechenden Anwälten und Politikerkontakten war er unantastbar, wenn es Gegenwehr gab. Wer hat sich nun die Mühe gemacht, diesen korrupten Zeitgenossen mit einem gezielten Gewehrschuss niederzustrecken? Hildurs Spürnase täuscht sie nicht, als klar wird, dass ein Flugzeugabsturz vor kurzem ebenfalls mit dem Mord an Hermannsson zusammenhängt und auch die Obdachlose Dísa eine wichtige Rolle dabei spielt und eine verschwundene Krankenakte.
Wie immer umkreist Satu Rämö auch die Privatsphäre des Ermittlerteams. So kämpft Jakob immer noch um das Umgangsrecht mit seinem Sohn, das seine Ex-Frau, die nun in Norwegen lebt, ihm trotz richterlicher Anordnungen verweigert. Beta, Hildurs Vorgesetzte, ahnt, dass ihr Ehemann sie betrügt und sie weiß auch, dass sie mit ihrem Beruf und zwei Kindern bei einer Trennung auch finanziell ziemlich allein dastehen wird. Auch Hildur frönt wie immer ihrer eiskalten Schwimmleidenschaft und sie kommt nach und nach durch neue familiäre Kontakte dem Familiengeheimnis ihrer Mutter Rakel auf die Spur. Nach wie vor kann sie sich kein Motiv denken, warum ihre sechs- und vierjährigen Schwestern Opfer eines Verbrechens geworden sein könnten.
Island ist wie immer die zweite Hauptfigur neben der Ermittlerin Hildur, die am Ende dieses Bandes endlich ihr Familientrauma überwinden wird und für Klarheit im aktuellen Fall sorgt.

Ebenfalls auf in diesem Literaturblog ist die Besprechung zum ersten Hildur-Band zu finden:

Satu Rämö: Hildur – Die Spur im Fjord