Stefanie Höfler: Tanz der Tiefseequalle, Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 2017, 189 Seiten, €12,95, 978-3-407-82215-4

„Jemand müsste mich aus der Gefangenschaft in diesem unförmigen Körper herausschälen, so wie man an einer alten Kartoffel nicht nur die Schale, sondern auch die gummiartig weich gewordene äußere Hälfte ihres Körpers wegschält, bis das noch das frische Innere zum Vorschein kommt.“

Sie nennen ihn die Tiefseequalle oder den Panzer, sie sind nie fein in ihren Ausdrucksweisen und sie quälen ihn mit fiesen lauten, wie gezischten Bemerkungen. Nikolaus, der gern Niko genannt wird, erträgt dieses fiese Mobben und er weint schon lange nicht mehr. Ja, er ist richtig fett und er hat sich einen emotionalen Schutzschild zugelegt. Der dickleibige Außenseiter flieht in seine Tagesträume, in denen er für sich Dinge erfindet, die sein Dicksein zum Positiven wenden. Aber Niko hat auch Freunde, den dicken Osman und den hektischen Little und er hat eine feste Stimme und schöne Augen, das bemerkt seine Mitschülerin Sera. Sera, das Mädchen mit dem ebenmäßigen Gesicht, den glänzenden schwarzen Haaren, gehört zur Clique der angesagten Schüler in ihrer 8. Klasse. Marko, schlecht in Mathe und Deutsch, aber ein Sportlertyp und Macho hat ein Auge auf Sera geworfen. Auf der Klassenfahrt werden sie sicher ein Paar.

Aus den Perspektiven von Niko und Sera erzählt Stefanie Höfler eine feine Freundschaftsgeschichte, ja vielleicht sogar zarte Liebesgeschichte. Das bleibt in der Schwebe. Niko lebt bei seiner „Großmama“, wie er sie nennt. Sera wird er erzählen, dass seine Eltern tot sind. Aber das ist nicht die Wahrheit. Sie haben ihn einfach bei der Oma abgegeben und sind für ihn nur noch Fremde. Sera wird ein Bild vom achtjährigen Niko sehen, da ist er nicht fett, da ist er einfach nur glücklich. Damit die Oma nicht traurig ist, isst Niko alles, was ihm vorgesetzt wird.

Niko hat beschlossen, dass er sich nicht vor der Klassenfahrt drückt. Dass diese drei Tage für ihn eine Tortur mit Besuchen im Schwimmbad und Klettergarten werden, ist klar. Als die Nachtwanderung ansteht, ist er ziemlich gefrustet. Doch dann hilft Niko der verzweifelten Sera, die von Marko brutal begrapscht wird. Beim Tanzabend spürt Sera, das Marko Lügen über sie in die Welt gesetzt hat. Aus Trotz, aber auch Dankbarkeit fordert Sera Niko zum Tanzen auf. Plötzlich beginnen die Klassenkameraden Niko, der einfach nur mit einem Mädchen tanzt, aufs übelste zu beschimpfen. Sera hält es nicht aus. Niko und sie verbringen die Nacht außerhalb der Herberge, reden miteinander und fahren dann einfach nach Hause.

Alle wenden sich von Sera ab, sogar ihre beste Freundin. Das Mobben findet kein Ende, aber Sera ist stark genug, diesen Druck auszuhalten. Zu gern würde Niko mit seiner Supernikobrause seinen Körper verlassen, ihn austauschen, sich verändern.
Doch wer ist dieser Junge eigentlich, der manchmal selbstironische Witze reißt? Nur Sera beginnt langsam, hinter die Fassade zu schauen. Sie recherchiert über Fettleibigkeit im Netz und wird doch nicht fündig. Immer mehr wird für Sera und den Leser klar, es geht nicht darum, wie jemand aussieht, es geht darum, wer er ist!

Erzählt wird diese wunderbare Geschichte aus der nüchtern reflektierenden Sicht von Niko und aus Seras Blickwinkel, eher emotional in fast gesprochener Sprache.

Jedes fünfte Kind in Deutschland ist zu dick und oftmals in der Kinderliteratur sind die fetten Kinder auch die fiesen, die andere quälen. Stefanie Höfler jedoch lässt einen Jungen erzählen, wie er sich fühlt.

„Ich hätte gern, dass alles bleiben kann, wie es ist. Dass ich bleiben kann, wie ich bin, und dass es trotzdem besser wird für mich.“