Anette Hinrichs: Nordlicht – Die Tote am Strand, TB, Blanvalet in der Verlagsgruppe Randomhouse, München 2019, 428 Seiten, €9,99, 9783734107221

„Der zynische Däne, dessen unkonventionelle Arbeitsmethoden ihr oftmals gegen den Strich gingen, war ihr eigentlich ans Herz gewachsen. Nicht nur, weil er ein brillanter Ermittler war. Sein Schicksal, über das er niemals sprach, rührte sie. Doch sie hatten alle ihre Dämonen.“

Beide Ermittler in Anette Hinrichs neuem Krimi sind auf ihrer Karriereleiter nach unter gefallen. Der dänische Polizist Rasmus Nyborg wechselte nach einem Gerichtsverfahren von Aarhus ins kleine Esbjerg und Vibeke Boisen von Hamburg nach Flensburg. Er hatte einen Drogendealer in Handschellen misshandelt und sie wechselte die Stelle, weil ihr zukünftiger Chef, mit dem sie einst im Glauben, er sei nicht verheiratet, sie sexuell erpresst. Rasmus steht vor seiner Scheidung, denn er und seine Frau konnten den Drogentod ihres fünfzehnjährigen Sohnes Anton nicht verkraften. Vibeke, deren Name die Kämpferin bedeutet, wurde mit elf Jahren adoptiert. Ihr Polizistenvater liegt nun im Koma und sie, was sie eigentlich nicht wollte, tritt seine Nachfolge zum Unmut ihres Stellvertreters an.
Rasmus, zu Beginn ziemlich arrogant und skeptisch, und Vibeke, forsch und vor allem nach ihren Erfahrungen mit männlichen Kollegen distanziert, arbeiten gemeinsam an einem Fall, der äußerst harmlos beginnt und immer dubioser wird. Laura Jensen wird mit Unterschallmunition am Strand von Kollund erschossen.
Schnell stellt sich heraus, dass Laura ihre Identität gefälscht hat und eigentlich Liva Jørgensen ist, die vor zwölf Jahren angeblich ermordet wurde. Agnes Jørgensen und ihr Mann, die ein krisengeschütteltes Fuhrunternehmen in Dänemark leiten, sind geschockt. Auch ihr damaliger Freund Alexander, mit dem Liva sich in der Nacht vor ihrem Verschwinden, heftig gestritten hatte. Alexander Troelsen arbeitet als Anwalt in einer angesehenen Kanzlei, sein Vater hofft auf eine politische Karriere, die ihn ganz nach oben führen wird. Doch kaum hat Alexander mit der Polizei zu tun, wird er aus der Kanzlei entlassen, sein Vater, der sowieso nie in gutes Wort für ihn hatte, wendet sich ab. Doch warum hat die Siebzehnjährige von einer Stunde zur anderen ihre Familie verlassen? Nach und nach stellt sich heraus, dass sie sich mit Putzjobs und Kindermädchenarbeit über Wasser gehalten hat. Nach Flenburg zurückgekehrt ist sie, so die Vermutungen der Polizei, weil sie erfahren hat, dass ihre Mutter an Krebs erkrankt ist. Doch warum ist ihr eigener Bruder Peter, der wegen krimineller Delikte schon im Knast gesessen hat, in ihr Zimmer eingebrochen?
Eine Verbindung zwischen dem abrupten Fortgang Livas aus Kollund und ihrer Ermordung schließen die Beamten nicht mehr aus, zumal es viele Ungereimtheiten gibt, die erst jetzt ans Tageslicht gelangen. Zu schnell hatte man damals Livas Tod mit den Taten eines Serienmörders in Verbindung gebracht. Auch wenn in Dänemark viel Wert auf Gleichheit, immerhin redet man alle außer die Königin mit Du an, klaffen z.B. zwischen den Familien Jørgensen und Troelsen Abgründe. Das hyggelige Leben der Dänen in allen Ehren, aber auch in dieser Geschichte dreht sich alles um Geschäfte und die harte Konkurrenz in jedem Business

Erzählt wird dieser Kriminalfall in klassischer Howdunit-Manier. Der Leser hat genauso wenig Ahnung wie die deutschen und dänischen Ermittler. Schritt für Schritt läuft er an ihrer Seite mit und beobachtet, wie sich aus den Informationen und Untersuchungsergebnissen langsam ein Täterbild herauskristallisiert. Da die Autorin das Personal in ihrem Krimi auf eine übersichtliche Gruppe beschränkt, kann auch der unkonzentrierteste Leser, der das Buch vielleicht am dänischen Strand oder Ostseestrand liest, folgen. Interessant ist natürlich die Zusammenführung aller Hinweise, die auf den Täter letztendlich zielen, aber auch die ganz persönlichen Probleme der Kriminalisten, die zum Glück ein Privatleben haben dürfen. Hinzu kommt, dass Krimiautoren ja bereits eine ganze Weile bestimmte Orte ins Zentrum ihrer Fälle rücken. Ein bisschen Sightseeing gibt es auch bei Anette Hinrichs, die sich Aarhus, die dänische Stadt an der Ostküste der Halbinsel Jütland, ausgesucht hat. Den Fall über die Grenzen Dänemarks und Deutschlands auszuweiten, hat natürlich auch seinen Reiz, zumal Rasmus wie der bekannte dänische Schauspieler Lars Dittmann Mikkelsen aussieht. Seufz!
Weitere Bücher dürften zu erwarten sein, und warum auch nicht.
Unterhaltsam ist diese erste gut konstruierte Krimihandlung, die Ermittlerfiguren sind ausbaufähig und Potenzial hat das Areal von Aarhus bis Flensburg auf jeden Fall.