Barbara Schinko, Ulrike Möltgen ( Ill.): Zimteis mit Honig, Picus Verlag, Wien 2019, 163 Seiten, €14,00, 978-3-7117-4012-0

„Milas Vater war kein Fernfahrer, ihre Mutter keine Putzfrau. Sie wohnte nicht in einem großen Haus mit Schwimmbad. Mila hatte kein Zuhause. Keine Eltern. Keine Mutter, keinen Vater. Der Gedanke war neu, ich hatte ihn erst seit Freitag, doch er fühlte sich richtig an. Auf eine schreckliche Art fühlte er sich richtig an.“

Moritz, auch Motz genannt, verbringt viel Zeit im Einkaufszentrum, weil seine Eltern dort die Eiswelt gepachtet haben. Hier lernt er auch die neunjährige Mila kennen, die irgendwie auftaucht und ihm immer wieder über den Weg läuft. Moritz teilt mit ihr seine Pausenbrote, sie erkunden die geheimen Ecken im Einkaufszentrum, blödeln gern herum, er lädt sie zum Eis essen ein und da sie nie Geld hat, schenkt er ihr das Eis, die sogenannte Seltsamsorte, das Eis, das sich nicht so gut verkaufen lässt: Zimteis mit Honig. Für Mila ist das jedoch der Himmel auf Erden.
Immer wieder trifft Motz das Mädchen an den gleichen Stellen, mal vor dem Spielzeugladen, dann wieder in den Gängen zur Toilette. Immer wieder erzählt Mila, dass ihre Mutter gleich kommen wird und ihr Vater angeblich im Einkaufszentrum arbeitet. Auf jede Frage hat sie eine Antwort parat, allerdings verhaspelt sie sich auch manchmal. Motz bemerkt schnell, dass sie nicht gut lesen kann. Wo geht sie eigentlich in die Schule? Motz ist ein hilfsbereiter, freundlicher Junge, er übersieht, dass Mila jeden Tag die gleichen Sachen trägt und ihren völlig verdreckten Elefanten an sich drückt. Er ärgert sich, wenn die Kinder behaupten, dass Mila stinken würde. Allerdings riecht auch er nach einer Weile den abgestandenen Schweißgeruch, der von ihr ausgeht. Als Motz mit Mila ins Kino geht, ist er völlig befremdet davon, dass sie das Popcorn von der Erde aufhebt und isst. Kinder erzählen, dass Mila Sachen klaut und Lebensmittel aus den Mülltonnen verzehrt.

Aber diesem Moment ahnt der Leser bereits, dass die vorsichtige, misstrauische und sich doch nach Gesellschaft sehnende Mila eine Lüge nach der anderen erzählt, kein Zuhause hat und ihre Tage im Einkaufszentrum verbringt. Schnell kippt ihre Stimmung, wenn Motz ihr nicht glaubt oder sie spürt, dass Motz, z.B. stolz auf seine Eltern ist.
Doch warum sieht niemand, dass das Mädchen sich abends beim Teppichhändler einschließen lässt und dort auch schläft?
In Moritz‘ Welt passt es nicht, dass Kinder nicht behütet aufwachsen. Seine Eltern haben einen tollen Job, gut, sie haben nicht genug Geld zum Verreisen, aber ansonsten wächst er behütet auf.

Kinder handeln grausam, aber Motz ist nie gleichgültig, wenn es um Mila geht. Wie sich der Junge um das einsame Kind kümmert, sogar einen Diebstahl auf sich nimmt, damit sie ohne Ärger einfach gegen kann, berührt zutiefst. Nie lässt sich Motz von den anderen beeinflussen, nie beteiligt er sich an deren Hänseleien. Er hilft ihr, gibt ihr seine Brote und sieht mit Verwunderung, wie schnell Mila alles in sich hineinstopft und trotzdem hungrig bleibt. Motz hat Mila geholfen, doch er kann nicht die Verantwortung für einen anderen Menschen übernehmen. Das muss das Jugendamt tun.

Einfühlsam erzählte reale Geschichte über ein Kind in Not und einen Jungen, der einfach nicht wegsieht.