Diana Evans: Leute wie wir, Aus dem Englischen von Mayela Gerhardt, Atlantik Verlag, Hoffmann und Campe, Hamburg 2021, 411 Seiten, €24,00, 978-3-455-00939-2

„Doch er spürte etwas anderes, etwas Konkretes und zugleich Vages, das am Morgen nach der Beerdigung in Form einer siebzehnwörtigen Frage zu ihm kam. Die Frage wurde von keiner Stimme begleitet. Sie war sehr schwach, eine Anhäufung von Sehnsüchten, und nachdem sie erst einmal gestellt worden war, wollte sie nicht mehr verschwinden. Die Frage lautete wie folgt:
Wie lange willst du dein Leben noch so leben, als würdest du auf einem dünnen Seil balancieren?“

Damian klopft die Frage nach allen Seiten ab und kann zu keinem Schluss kommen. Seit sein nicht gerade geliebter Vater gestorben ist, bedrückt ihn etwas, ist er gereizt und allem gegenüber gleichgültig. Stephanie, seine bodenständige und lebenspraktische Frau, drängt ihn auf ärztliche Hilfe zurückzugreifen. Damian hadert nach fünfzehn Jahre Ehe mit allem. Er hasst es, dass die Familie am Stadtrand von Dorking lebt und ihn stört, auch wenn er es nie sagen würde, dass alles nur noch ein „Wir“ ist. Das „Ich“ ist das verlorene Pronomen in der Sprache der Paare, behauptet Diana Evans und umkreist in ihrem Roman das normale Leben von Damian und Stephanie und Melanie und Michael. Ursprünglich haben sich alle durch die Freundschaft zwischen Damian und Michael kennengelernt. Sie haben Wohnungen, Häuser bezogen, haben Kinder bekommen, sind, zumindest die Männer, beruflich etabliert.
Alles beginnt mit einer Party zu Ehren der Präsidentschaft von Barack Obama. Seinen Sieg sieht die Community als Fortschritt an, auch wenn Michael nur in eine Gegend ziehen möchte, in der ebenfalls schwarze Menschen leben. Er ist stolz auf seinen Rassismus-Seismographen. Melissa hingegen ist offener, lebendiger. Sie will nicht in einer Ehe angebunden sein, doch nach dem zweiten Kind hat sie ihren Redakteursjob aufgegeben und sich ziemlich unzufrieden in die Freiberuflichkeit manövriert. Sie kommt dieses Mal kaum mit der Mutterschaft zurecht, zumal sich Michael aus allem fortstiehlt und ihre Beziehung langsam dem Ende entgegengeht.
Wenn beide sich SMSs schreiben, dann herrscht ein eher bellender Ton vor als Texte mit Herzchen oder Küsschen. Der Alltag und das Herummäckeln am anderen schleicht sich in die Beziehungen beider Paare und nichts kann die Leere, die sich langsam breit macht, verhindern. Michael schaut sich nach der bildschönen Rezeptionistin um und Damian verguckt sich in Melissa.
Auch der Urlaub an der Costa del Sol kittet nichts.

Überall auf der Welt könnte dieser Roman spielen, denn universell sind die Probleme und Konflikte, die die Paare austragen müssten und doch lieber unter den Teppich kehren. Die Tristesse, die sich einschleicht, und die Gleichgültigkeit dem Partner gegenüber wirkt sich auch auf die Kinder aus, die die Anspannungen und auch die Lieblosigkeit zwischen den Eltern spüren und entsprechend darauf reagieren. Multiperspektivisch erzählt die britische Autorin und stellenweise erkennt jeder, der in der Lebensphase der vier Hauptprotagonisten steckt, sich vielleicht selbst wieder.
Auch wenn Diana Evans so ein Allerweltsthema in „Leute wie wir“ ins Zentrum stellt, liest man gebannt Seite um Seite und folgt den Gedanken und oftmals so treffenden Sprachbildern der Protagonisten zu gern, denn diese wirklich scharf beobachtet und oft auch sarkastisch
formuliert.