Kristina Hauff: Unter Wasser Nacht, hanserblau im Carl Hanser Verlag, München 2021,
288 Seiten, €20,00, 978-3-446-26945-3

„Da hatte sich die Schuld über sie gestülpt wie brennende Haut. Eine Welt ohne Aaron. Davon hatte sie geträumt. Jetzt war sie real.“

Sophies Leben scheint in den Elbauen vollkommen. Sie hat einen wunderbaren Mann, Thies, gute Freunde, Inga und Bodo, und alle wohnen ohne finanzielle Sorgen zusammen im Wendland auf einem gemeinsamen Grundstück unweit der Elbe. Sophie trinkt am Morgen ehe sie ins Labor fährt mit Inga einen Kaffee, sie kochen zusammen und legen einen Gemüsegarten an. Bodo und Thies tüfteln an gemeinsamen Projekten. Alle kennen sich seit den Studententagen, haben sich gemeinsam politisch engagiert und sind eine Seelengemeinschaft. Doch dann grätscht in diese Bullerbü-Idylle das Leben. Inga bekommt zwei Kinder, Jella und Lasse. Und Sophie, sie fühlt sich ausgeschlossen bis endlich Aaron da ist, das Wunschkind. Alle sind glücklich, bis Aaron laufen kann.

Aus der Sicht aller Figuren erzählt Kristina Hauff von einer belastenden Zeit und den Geschehnissen in der Gegenwart.
Vor dreizehn Monaten ist Aaron über Nacht verschwunden. Jeder im dünn besiedelten Ort weiß um die Gefahren, die die Elbe mit ihren Strömungen für Badende bereit hält. Der elfjährige Aaron ist in der Elbe ertrunken. Gefunden wurde er in seiner Kleidung, mit Gesichtsverletzungen und einem Armband, dass die Eltern nicht kannten. Was ist an dem Aprilabend geschehen? Thies hat kein richtiges Alibi. Misstrauen legt sich über die bereits stark strapazierte Freundschaft und ein bleiernes Schweigen. Inga kann ihre Abneigung gegen Aaron, der auch oft gelogen hat, nie der Freundin gegenüber artikulieren. Thies und Sophie wissen, dass ihr Sohn trotz Therapie zu heftigen Wutausbrüchen fähig ist und ohne Rücksicht auf Kinder losgeht und sie verletzt. Sein Schulausschluss steht bevor und wahrscheinlich wird ihn keine andere Schule in der Umgebung mehr nehmen. Er müsste in einer psychiatrischen Klinik unterkommen.
Thies arbeitet seit dem Tod des Sohnes nicht mehr. Er sieht zuerst von seinem Findling an der Elbe aus eine Fremde auf der Fähre, die von Ingas Mutter Edith rangiert wird. Diese Fremde, eine Frau Ende vierzig namens Mara, hilft Sophie nach ihrem Sturz vom Fahrrad. Alle freunden sich mit Mara an und Thies fühlt sich besonders zu ihr hingezogen. Sie wirkt wie ein Puffer zwischen den auf engem Raum zusammenlebenden Familien, die sich nicht aus dem Weg gehen können. Auch wenn die Polizei auf Drängen von Thies und Sophie nicht klären kann, was an diesem Abend mit Aaron passiert ist, ist Mara in der Lage nach einem Gespräch mit Jella eine Spur freizulegen.

„Mara streichelte über Jellas Rücken. Sie und das Mädchen wirkten wie eingesponnen in einen gemeinsamen unsichtbaren Kokon. Wie zwei Menschen, die ein Geheimnis teilten.“

Doch wer ist Mara eigentlich und warum vertrauen ihr alle ( außer Bodo, aber er ist Polizist )?

Es scheint das Buchthema im Frühjahr 2021 zu sein: Das Verhalten eines Wunschkindes, hineingeboren in sogenannte gutbürgerliche Verhältnisse, das von seinen Aggressionen bestimmt wird und nicht beeinflussbar ist. Nichts kann den Jungen Aaron erreichen, nicht das Vorlesen an seinem Bett, nicht die Liebe seiner Eltern, nichts.
Thies als Pädagoge glaubt, versagt zu haben und Sophie kann als Mutter mit ihrer ganzen Liebe nicht zum eigenen Kind vordringen. Nie würden beide es wagen, auszusprechen, dass sie ihr Kind nicht mögen, sich schämen, es einfach nicht mehr um sich haben zu wollen. Sie denken es, und als es Wahrheit wird, verzweifeln sie an ihren Schuldgefühlen. Aarons Aggressionen zeigen sich bereits im Kleinkindalter. Er wirft einen Stein nach Jella und trifft sie auch.
Nichts ist einfach nur eine Phase bei diesem Jungen. Doch woraus resultiert die dunkle Seite des Kindes? Wovon wird die Persönlichkeit des Menschen von klein auf mehr geprägt: Von unseren biologischen Anlagen oder durch unsere Umwelt?

Durch das multiperspektivische, konzentrierte Erzählen erfahren die Leser und Leserinnen, was die einzelnen Figuren übereinander denken und wie sie die Geschehnisse, die sich auf Ingas heile Welt und Aarons Todesnacht konzentrieren werden, beurteilen. Kristina Hauff ( ein Pseudonym ) baut eine ungeheure Spannung auf, erzählt in einer wundersam literarischen Sprache und hält diese bis zum Ende. Eine atemberaubende Geschichte voller Abgründe und Hoffnung!