Martina Wildner: Königin des Sprungturms, Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 2013, 211 Seiten, €12,95, 978-3-407-82027-3

„ Manchmal fragte ich mich allerdings, ob sie so richtig mit mir befreundet war. Also, ob ich ihr wichtig war. Sie war mir wichtig;…“

Die Schwimmhalle und das Turmspringen sind ihr Leben. Nadja, sie ist die Erzählerin, und Karla kennen sich seit dem sechsten Lebensjahr, da wurden sie Wohnungsnachbarinnen und Freundinnen. Gemeinsam sind sie zum Schnupperkurs gegangen, gemeinsam besuchen sie nun seit zwei Jahren die Sportschule. Sie teilen sich ein Spind in der Halle und da Karla nie Geld hat, sucht Nadja, wenn sie den Süßigkeitenautomat füttert auch immer etwas, das sie teilen kann. Enge, unzertrennliche Freundinnen – so würde Nadja es beschreiben, doch wie die blasse, ja fast farblose und oftmals wortkarge Karla diese Beziehung sieht, weiß der Leser nicht.

Karla jedenfalls ist die unanfechtbare „Göttin des Sprungturms“. Sie scheint vom Leistungsdruck, den die Trainer unter den Mädchen forcieren, dem heftigen Konkurrenzkampf, den Ängsten und all dem Stress wenig zu spüren. Früh offenbar sehr schnell auf sich gestellt, die alleinerziehende Mutter arbeitet als Krankenschwester, hat Karla ihren Anker gesucht und gefunden, das Turmspringen.

Nadja erzählt mit dem Wissen, dass Karla und sie nicht mehr zusammen sind und auch nicht mehr befreundet. Sie ruft sich Szenen dieser ja fast symbiotische Freundschaft in Erinnerung, die offensichtlich von beiden Mädchen auf unterschiedliche Weise empfunden wurden. „ Es war nicht wirklich lustig mit ihr. Aber wir machten alles zusammen, und obwohl sie alles immer ein bisschen besser konnte als ich, hatte ich das Gefühl, dass sie mich brauchte und dass sie nur so gut war, weil ich da war.“

Manchmal stachelt Nadjas emsige und empfindsame, russische Mutter ihre Tochter an, doch mehr Ehrgeiz zu zeigen, Distanz einzunehmen, einfach mal besser als Karla zu sein. Wenn es nach der Mutter gegangen wäre, hätte ihre Tochter natürlich eine Karriere als Eiskunstläuferin begonnen. Aber für Nadja ist alles so wie es ist in Ordnung, Karla bleibt für sie die „Königin“ in der Schwimmhalle. Ihre Sprünge sind elegant, schwerelos und vollkommen.

Als Karla bemerkt, dass sich ihre Mutter heimlich mit einem Mann trifft, gerät ihr Leben in eine Schieflage. Dieser Mann, so glaubt Karla trägt Schuld am frühen Tod ihres Vaters. Sie vernachlässigt den Unterricht, verkriecht sich und verpatzt sogar den Sichtungswettkampf, den Nadja überraschend gewinnt. Aber so seltsam es klingt, Nadja kann sich nicht freuen. Sogar beim Interview redet Nadja immer nur von Karla, als sei sie selbst gar nicht vorhanden.

Nadja wird sich aus dem Schatten Karlas und ihren gewohnten Verhaltensmustern lösen und erkennen, welche Bedeutung der Sprung an sich in Nadjas Leben einnimmt, sie traumatisiert hat und letztendlich auch befreien wird.
Die Berliner Autorin Martina Wildner lässt dem Leser viel Raum für eigene Gedanken. Sie schreibt psychologisch packend, ohne den Leser zu Wertungen, ob nun über die ungleiche Freundschaft, die komplizierten Familienverhältnisse oder den prägenden Leistungssport zu drängen.