Frank Goldammer: Im Schatten der Wende – Falck und Sunderberg ermitteln, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2022, 386 Seiten, €16,95, 978-3-423-26318-4

„Falk gefiel ganz und gar nicht, was hier geschah. Ihm gefiel nicht, dass die Hauptkommissarin die Erste am Tatort war und so tat, als hätte sie es mit einem Haufen Polizeianwärtern zu tun, und ihm gefiel auch nicht, wie Schmidt sich benahm. Hier lag ein toter Mensch. Dem gebührte Respekt, und es galt zu zeigen, dass sie Polizisten waren und wussten, was sie zu tun hatten.“

Mit seinen fünfundzwanzig Jahren ist Tobias Falck 1988 Obermeister der Volkspolizei in der DDR, in Dresden. Staatstreu und naiv glaubt er, was die sozialistische Propaganda ihm seit Jahren eingetrichtert hat. Mit seiner Freundin Ulrike würde er gern eine Familie gründen, aber noch wohnt er zur Untermiete in einem kleinen Zimmer. Im „Tal der Ahnungslosen“ stellen allerdings auch zu diesem Zeitpunkt schon viele einen Ausreiseantrag und Falck kann gar nicht verstehen, was seine Mitbürger vom Westen erwarten. Auch Ulrike scheint unzufrieden und trennt sich von ihrem Verlobten. Falck ist zutiefst enttäuscht und verunsichert, wobei er eigentlich kein Mensch ist, der nur als Befehlsempfänger seinen Arbeitstag herumkriegt. Er denkt mit und zeigt oft Eigeninitiative, was in den Behörden eigentlich nicht gern gesehen wird. Da zum sozialistischen Menschenbild nicht gerade kriminelle Aktivitäten passen, werden in der DDR Verbrechen wie Vergewaltigung, Kindesmissbrauch oder auch Morde als Unfälle gern vertuscht. Besonders in Dresden Neustadt, wo Stillstand und Verfall herrschen und die Häuser kurz vorm Einsturz stehen, angeblich ist ein Neubaugebiet angedacht, scheint sich eine bestimmte Klientel von Gruftis, aber auch Skinheads breit zu machen. Ausgerechnet hier stürzt ein Polizist aus seiner Wohnung in den Tod. Mord oder Unfall? Eine Frauenleiche verschwindet. Junge Frauen wird belästigt und ein Jugendlicher scheint missbraucht worden zu sein. Doch niemand scheint sich wirklich für die Fälle zu interessieren. Falck wird abgezogen und absolviert seinen Lehrgang in Aschersleben und beginnt fast zeitgleich mit dem Mauerfall seine Arbeit beim Dresdner Kriminal – Dauer – Dienst. Hier trifft er auf bereits bekannte Kollegen, zum einen den etwas untersetzten, wie unsympathischen Kettenraucher, Hauptmann Edgar Schmidt, und die freundliche, junge Kollegin Stefanie Bach.

Atmosphärisch genau beschreibt Frank Goldammer die wirklich spannende Zeit der totalen gesellschaftlichen Umwälzung in der DDR mit all ihren Schattenseiten aus der Sicht eines jungen Kriminalpolizisten, dessen heiles Weltbild zusammenbricht und der seelisch wie körperlich herausgefordert wird.

Kaum sind die Grenzen offen, reisen nicht nur Glücksritter ein, die alles Mögliche verkaufen wollen, sondern auch Zuhälter und Auftragskiller. Einen, der sich in den Osten abgesetzt hat, kennt die Hauptkommissarin aus Hessen, Sybille Sunderberg, die in Dresden die Polizei um Mithilfe bittet; mit ihrer Arroganz und Unwissenheit jedoch erstmal alle gegen sich aufbringt. Da sie der Meinung ist, die Polizei wäre gleich Staatssicherheit erhofft sie sich zumindest schnelle Erfolge. Als sie sich mit den drei Polizisten dann in einen Trabant quetschen muss, ahnt sie, dass sie über die DDR eigentlich so gar nichts weiß. Über die Verhörmethoden des Vorgesetzten Edgar Schmidt, der je nach Person einen ganz eigenen Ton anschlägt, ist nicht nur die westliche Kollegin entsetzt. Immer tiefer geraten die Polizisten an ihre persönlichen Grenzen und in einen unheimlichen Kreis von Verbrechen. Und kaum ist jemand zu Tode gekommen, so verschwindet die Leiche klammheimlich.
Neben der Suche nach dem mysteriösen Killer beginnt Tobias Falck, den die anderen als Anfänger so gar nicht ernst nehmen, die alten offenen Fälle, denen er 1988 nicht nachgehen durfte, aufzuklären.
Mehr als chaotisch wird es, als sich herausstellt, dass Hauptkommissarin Sunderberg auf ihrer Dienststelle schon eine ganze Weile gar nicht aufgetaucht ist und gar kein offizieller Antrag auf Amtshilfe aus dem Westen existiert. Und dann gibt es auch noch einen Anschlag auf Falck und Kollegin Bach verschwindet. Die Ermittler aus dem Osten bangen noch vor Weihnachten 1989 um ihr Leben, werden mit einem Nekrophilen konfrontiert, klettern auf ein Hausdach, um einem Brand zu entgehen, sehen zum ersten Mal eine verbrannte Leiche und werden von ihrer Schusswaffe Gebrauch machen. Das hatte sie sich sicher nicht vom Westen erhofft.

Mit Humor, aber auch Sarkasmus prallen in diesem Kriminalroman der Osten und der Westen in der aller frühesten Phase aufeinander, wobei schon in weiser Voraussicht eine Desillusionierung im Osten vorweggenommen wird.

„Schmidt sah ihn mitleidig an. ‚Tja, willkommen in der freien Welt.’“

Auf eine Fortsetzung darf man gespannt sein!