Irene Dische: Die militante Madonna, Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021, 219 Seiten, €22,00, 978-3-455-01196-8

„Die Natur hat mir zugegebenermaßen das großzügige Geschenk gemacht, äußerlich beiden Geschlechtern anzugehören. Hierher rührte die öffentliche Verwirrung. Ich war mit einer Stimme gesegnet, die für einen Mann als sehr hoch und für eine Frau als sehr tief galt. Ich war groß für eine Frau und klein für einen Mann. … Ich war nie auch nur auf die Idee gekommen, das eine Geschlecht zugunsten des anderen aufgeben zu müssen.“

Der vierzigjährige gut aussehende Chevalier d‘ Éon de Beaumont verbringt seine Zeit als Botschafter des französischen Königs Louis XV., in London in seinem Stadtpalais. In seiner beeindruckenden Bibliothek liest er wiederholt seinen Abaelard, lässt sich von James bedienen und umgibt sich mit mehr oder weniger interessanten Personen seines Standes. Es herrscht offenbar Narrenfreiheit in gewissen Kreisen, denn der Chevalier ist mal eine Frau und dann wieder ein Mann, so wie ihm gerade der Sinn steht.
Irene Dische rückt in den Mittelpunkt ihres Romans eine schillernde Persönlichkeit des 18. Jahrhunderts, die wirklich gelebt hat.
Verwegen spricht der Chevalier zu seinen amerikanischen Lesern und Leserinnen und nimmt frech Bezug auf die heutige Zeit und ihren ausufernden Genderdebatten.
Scheinbar unbehelligt lebt der Chevalier mal als Frau, mal als Mann. Doch dann beginnen die Londoner auf sein Geschlecht zu wetten und der Spaß ist vorbei, denn niemand soll dem Chevalier unters Kleid fassen oder sehen. Sehr oft zieht sich der Ich-Erzähler aufs Land zurück und kann bei einem Lord X untertauchen. Ansonsten ist der Chevalier ein Tausendsassa, er ist ein kühner Degenfechter, ein Soldat, ein Autor, ein Ökonom und vieles mehr. Und er spioniert natürlich am englischen Hof von George III.. Als Frau jedoch hat er seine Agententätigkeit am Hofe der russischen Zarin Katharina extrem ernst genommen, bis hin zu einem Liebesverhältnis.
Als jedoch Louis XV. an den Pocken verstirbt, muss sich der charismatische Chevalier auf eine ungewisse Zeit einstellen, denn der Nachfolger des Herrschers ist ihm nicht so wohl gesonnen. In Ungnade gefallen, lauern dem armen Chevalier sogar Auftragsmörder auf. Aber der Chevalier kennt genug mehr oder weniger einflussreiche Leute, so z.B. die Klatschbase Morande, einen ziemlich modernen Journalisten, der geschickt Falschinformationen in seinem Blättchen streut, die vielleicht sogar der Wahrheit entsprechen. Verbrachte der Chevalier seine letzten Lebensjahre als Frau, vielleicht auch um ihn mundtot zu machen, so war doch dieser Spagat zwischen den Geschlechtern für ihn ein Genuss.

Irene Dische erzählt auf ihre unnachahmliche, sehr witzige wie auch tiefgründige Weise von diesem Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts, der sich mit seiner Lebenslust eine Freiheit nahm, die heute eigentlich selbstverständlich sein sollte.

Der Name d’Éon de Beaumont des Chevaliers wird über seinen Tod hinaus in die Geschichte der frühen Sexualwissenschaft eingehen. So umschreibt der Begriff „Eonismus“ sogenannte transvestitische Neigungen.

Wie schwer es bis heute, z.B. Transmänner oder Transfrauen haben, zeigt der Einzug von
Nyke Slawik und Tessa Ganserer, beide von den Grünen, in den Bundestag. Sie haben laut eigenen Angaben nach ihrer Wahl starke Gegenreaktionen erhalten.