Graham Norton: Heimweh, Aus dem Englischen von Silke Jellinghaus und Katharina Naumann, Kindler Verlag im Rowohlt Verlag, Hamburg 2021, 484 Seiten, €22,00, 978-3-463-00024-4

„Ellen hatte das Gefühl, überhaupt nichts mehr zu wissen. Connor hatte Menschen umgebracht. Er war bestraft worden. Ihrer aller Leben war von seinem Verbrechen zerstört worden. Wie konnte das nicht die Wahrheit sein? Sie bekam plötzlich große Angst.“

Es wird wohl der schrecklichste und traurigste Tag im irischen Mullinmore im Jahre 1987 werden, der Tag, an dem drei Jugendliche sterben. Zu sechst sind sie mit dem Auto von Martin einfach ans Meer gefahren. Den Unfall überlebt hat schwer verletzt Linda, die Brautjungfer, Martin Coulter, der Sohn des Arztes und Connor, dessen Eltern einen Pub im Ort führen. Bernie und David wollten heiraten, Carmel war eine der Brautjungfern. Alle drei sind tot. Am Steuer saß Connor Hayes, der eigentlich gar nicht zur Clique gehörte. Connors Eltern und seine jüngere Schwester Ellen wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Nach dem Prozess, Connor ist noch fast ein Kind, verschwindet der Junge, der nie einen Schulabschluss gemacht hat, aus der Stadt. Seinen verzweifelten Eltern wird er noch eine Karte senden, aber sich nicht mehr melden. Als Martin, der ebenfalls Arzt werden wird, Ellen umwirbt, kann sie gar nicht fassen, das dies geschieht.

Über einen Zeitraum, auch in Rückblenden, von 30 Jahren erzählt der bekannte irische Schauspieler und Autor Graham Norton von Connors Leben und dem Schicksal derjenigen, die in Mullinmore geblieben sind.
Connor muss nicht nur die Bürde dieses einen verhängnisvollen Tages tragen, sondern auch damit fertig werden, dass er schwul ist. Immer wieder hat er die Worte seiner Mutter im Ohr, die gesagt hatte, dass sie so ein Kind nicht lieben könnte. Doch Connor wird seinen Weg gehen und zusammen mit Tim, einem Künstler, in New York ein interessantes Leben führen. Als Tim Connor nach sechzehn Jahren Beziehung regelrecht vor die Tür setzt, stürzt Connor, der nie von den Geschehnissen in seiner Heimatstadt erzählt hat, völlig ab. Per Zufall trifft er in der Bar hinter der Theke einen irischen Jungen namens Finbarr. Connor kann nicht ahnen, dass der schwule Finbarr sein Neffe ist.

Ellens Ehe mit Martin ist mehr als unglücklich. Ihr einfallsloses Sexleben endete nach den Geburten der Kinder Finbarr und Aisling. Martin demütigt seine Frau, wo er nur kann. Sie hat es satt, ihm für seine Zuwendung und die gesellschaftliche Aufwertung ihrer Familie dankbar zu sein.

Denn, und das ist der wirklich überraschende Wendepunkt in diesem gut lesbaren Roman, alles an diesem einen Tag im Jahr 1987, hatte einen anderen Verlauf genommen, als alle vorgaben zu wissen.
Niemand glaubt der überlebenden Linda, die aus dem Koma erwacht und letztendlich auch ihrer eigenen Wahrnehmung nicht vertraut.

Connor wird in dem Wissen heimkehren, dass seine Eltern ihren schwulen Enkelsohn Finbarr lieben können und auch ihn vielleicht so nehmen, wie er ist.

Dramaturgisch raffiniert führt die Autorin die Geschichte an ihr bitteres, wie doch auch versöhnliches Ende. Berührend, aber unsentimental, in einer plastischen wie lebendigen Sprache verfasst, liest sich dieser Gesellschaftsroman, in dem es um schwere Schuld, Vergebung, aber auch Gewissenlosigkeit, Lügen und schwere Schicksale geht.