Allison Pearson: Wenn’s weiter nichts ist, Aus dem Englischen von Jörn Ingwersen, Wunderraum bei Goldmann Verlag, München 2018, 600 Seiten, €22,00, 978-3-336-54769-2

„Das mit Jack habe ich für mich behalten. Was gab es da schon zu erzählen? …. Außerdem wollte ich nicht, dass gleich der nächste Fremde in das Leben meiner Kinder trat, während ihr Vater um die Ecke mit Pippi Langstrumpf wohnte. In dieser Phase funktionierte ich nur mit Ach und Krach.“

Kate Reddy hat es bald geschafft. Sie ist so alt wie ein halbes Jahrhundert, sie übersteht dank Hormontherapie und chirurgischem Eingriff ihr Collegetreffen mit vier Kilo weniger Speck auf den Hüften und sie kann sagen, ich arbeite wieder in einem Londoner Büro. Wie es ihr jedoch dabei ergeht, das erfährt nur die Leserin ( Es ist wirklich nur ein dickes Buch für Frauen, sorry Männer.). Und wenn Allison Pearson eines kann, dann vom Alltagsleben einer Frau um die 50 mit trockenem Humor, Wortwitz und sich überschlagender Situationskomik erzählen, dass man beim Lesen oft laut auflacht. Sicher klingen auch dunkle Töne an, aber die gehören zum Familienleben nun mal dazu.

Dem Zeitgeist folgend beginnt die Geschichte auch gleich mit einem Paukenschlag in den sozialen Medien. Tochter Emily, zarte siebzehn Jahre, hat auf Bitten der Freundin Lizzy, ein Belfie von ihrem Hintern per Snapchat gesendet. Aber Lizzy hat, nur versehentlich versteht sich, das Foto bei Facebook verbreitet. Nur wenige Sekunden gibt es wieder ein Gleichgewicht in der Mutter und Tochter – Beziehung, indem Mutter tröstet und Kind getröstet werden möchte. Ansonsten ist die Stimmung zwischen Kate und Emily, deren tägliches Make-up-Tutorial auf Instagram vor der Schularbeit Vorrang hat, eher angespannt und hysterisch aufgeladen. Auch Ben, der 14-jährige Sohn von Kate und Richard, befindet sich in einer schwierigen Phase, in der nur die Playstation eine wirklich entscheidende spielt.

„Ich geb\’s auf. Emily ist oben mit ihren Freundinnen, aber sie sprechen nicht miteinander. Ben ist hier unten und spricht mit Freunden, die gar nicht da sind. Sie sind sonst wo, am anderen Ende der Stadt. Die Kinder haben recht: Ich bin von gestern.“

Kate hat nun seit sieben Jahre nicht mehr in ihrem einst lukrativen Finanzjob gearbeitet und um wieder, was unbedingt sein muss, ins Arbeitsleben zurückzufinden, ist die Familie in die Nähe von London in ein 300 Jahre altes Haus gezogen. Richard, ihr Ehemann, hasst das Haus und den neuen Mitbewohner, den anhänglichen süßen Welpen Lenny. Sicher muss das handwerkliche polnische Allroundgenie Pjotr noch vieles bauen, u.a. eine richtige Küche, aber Kate ist zuversichtlich. Der Mut jedoch verlässt sie, wenn sie ihren Kontostand betrachtet. Richard hat seinen Architektenberuf aufgegeben und sich dazu entschieden, sich zwei Jahre unentgeltlich zum Krisenberater umschulen zu lassen. Außerdem macht er eine richtig teure Therapie, um mehr über sich zu erfahren und scheint sich weder für das Haus, noch die Kinder noch irgendetwas, außer sein Rennrad, seine Schulungen und seine neue Kollegin Joley, zu interessieren. Trotz diverser Achtsamkeitsseminare berührt es ihn nicht, dass sein Vater mit der dementen Mutter nicht mehr klarkommt. Nur Kate hat ein Ohr für den Schwiegervater und die kranke Barbara, die sie einst als Schwiegertochter aufgrund ihrer Herkunft eher verachtet hat, aber nun mit geklauten Kreditkarten in Baumärkte fährt, um Kettensägen zu kaufen. Warum Kate ihrem Ehemann all dies nachsieht, liegt vielleicht an ihrer eigenen desolaten Disposition. Sie ist mitten in den Wechseljahren und durchlebt alle Symptome, wie immer sie auch heißen. Sie schwitzt, sie kann nicht gut schlafen, sie hat Stimmungsschwankungen, ihre Gedächtnisleistung nimmt immer mehr ab und und und ….\n\nLeider behauptet ihr Headhunter, dass sie für einen neuen Einstieg ins ernsthafte Arbeitsleben, Lebens- und auch Arbeitserfahrungen hin oder her, zu alt sei. Eine Frechheit, finden nicht nur Kates Freundinnen. Sie manipuliert ihren Lebenslauf und ergattert in ihrer alten Londoner Firma, einem Finanzdienstleister, der schon zweimal den Namen gewechselt hat, einen Job. Ihr Vorgesetzter ist nur ein dreißigjähriger Hipster oder auch „Milchbubi“, der in Kates Augen wenig Ahnung von seinen wahren Aufgaben hat. Aber sie ist in der Probezeit und nur eine Schwangerschaftsvertretung und muss zeigen, was sie als zweiundvierzigjährige Mitarbeiterin kann. \n\nMinutiös arbeitet die englische Journalistin und Autorin Allison Pearson heraus, wie sich Frauen fühlen, die ihre Würde und ihr Selbstbewusstsein verlieren, wenn sie als gleichberechtigte Partnerin einfach unter Qualifikation nach der Kinderpause arbeiten müssen. Immer geht es ums Geld verdienen, denn Kinder sind nun mal teuer, wenn man ihnen ein glückliches Leben bieten möchte. Kate kann Frauen, wie Lizzys Mutter nur verachten, die dank Geld und Ansehen ihres Mannes den Kopf hoch tragen und auf andere herabschauen. Nichts kann Emily davon überzeugen, dass Lizzy einfach mal eine unsympathische, wohlstandsverwöhnte Ziege ist. Und Kate möchte ihrer Tochter nicht den Stand in der Peergroup verderben.

Kates Arbeits- und Familienleben durchläuft nun Höhen und Tiefen und immer wieder erinnert sie sich an Szenen aus der Vergangenheit, die ihr gute – oder weniger angenehme Erinnerungsmomente verschaffen. Immerhin ist da ja auch noch Jack, der solvente einst wichtige Manager, der ihr einfach zu nah gekommen ist und den sie für die Familie aufgegeben hat.
Kaum befindet sich Kate wieder in London, erhält sie eine E-Mail von ihm.
Gut, dieser Roman ist eine Fiktion, eine unterhaltsame Fiktion von einer Frau, die nicht mehr jung aber auch nicht alt, ihr Leben meistert. Und natürlich wünscht man ihr für ihren Lebensweg einen anderen Mann als diesen lethargischen, egoistischen Richard.

Wirklichkeitsnah getroffen hat die englische Autorin den rasanten Einfall der modernen Medien ins Alltagsleben von Elterngenerationen, für die noch das Fernsehen eine fantastische Erfindung war. Wie sogenannte Freundinnen stutenbissig um sich schlagen, kennen Frauen von klein an. Eltern von Jungen im Teenageralter erkennen in Ben den typischen Vertreter. Wunderbar auch die Beobachtung, dass faule Kinder nicht faul sind, sondern an „Motivationsmangel“ leiden.

So könnte man viele Szenen hervorheben, die exzellent beobachtet, durch den Kakao gezogen werden und doch vom wahren Leben berichten.
Chick-Lit für die Generation 50+ – warum nicht?