Angie Thomas: The Hate U Give, Aus dem Amerikanischen von Henriette Zeltner, cbt Verlag, München 2017, 509 Seiten, €17,99, 978-3-570-16482-2

„Ich hoffe, dass mich keiner nach meinen Ferien fragt. Die anderen waren in Taipeh, auf den Bahamas, in der Harry Potter World. Ich bin in meinem Viertel geblieben und habe mitangesehen, wie ein Cop meinen Freund erschoss.“

Die sechzehnjährige Starr Carter lebt in einem sogenannten Ghetto, in dem Schüsse fallen und Drogendealer in ihren superteuren Autos durch die Gegend kurven. Hier hat ihr Vater einen Laden, hier arbeitet die Mutter in einem Krankenhaus. Aber Starr geht in eine Privatschule und ist neben einem weiteren Schüler die einzige mit schwarzer Hautfarbe. Als sie mal ihre Freundinnen zum Übernachten eingeladen hat, endete der Abend in einem Desaster, denn ein Mädchen kam erst gar nicht und das andere wollte gleich wieder nach Hause, weil in der Nähe Schüssen fielen.

Seit diesem Erlebnis weiß Starr, dass sie in der Schule eine Rolle spielen muss und nie wirklich sie selbst sein kann. Zwar hat sie Freundinnen, Hailey und Maya, und auch einen festen weißen Freund, Chris, aber ihr sind die Unterschiede zwischen ihrem Leben und dem der anderen wohl bewusst. Als Starr ihren einstigen Freund Khalil auf einer Party trifft, entsteht dort ein Streit und die beiden verlassen die Räume. Khalil will Starr nach Hause fahren, sie geraten in eine Polizeikontrolle und der Polizist mit der Nummer einhundertfünzig richtet seine Pistole auf die Jugendlichen und erschießt den unbewaffneten Jungen.

Nach und nach stellt sich heraus, dass Khalil für die Gang der Kings im Viertel Drogen vertickt, obwohl seine Mutter selbst abhängig ist. Aber das schnelle Geld verführt einfach.

Starr ahnt nun, dass sie in einen schweren Konflikt geraten ist. An der Schule tut sie so als wüsste sie nicht, wer Khalil ist. In ihrem nahen Umfeld wissen alle, dass Starr die einzige Augenzeugin des ungeheuren Vorfalls ist. Dabei hat Starr bereits schon einmal gesehen, wie ein Kind, das sie kannte, erschossen wurde. Klar ist, wenn Starr sich nicht für Khalil einsetzt und aussagt, dann bleibt er im Gedächtnis der anderen als der Drogendealer, der früher oder später sowieso erschossen werden würde. Sogar Hailey, Starrs beste Freundin, behauptet dies und zerstört damit die Freundschaft.

Am liebsten würde Starrs Mutter diese Wohngegend verlassen, aber sie schaffen es nur, wenn sie einen besseren Job im Krankenhaus bekommt. Starrs Vater war selbst im Gefängnis, um sich aus den Fängen der King Lords Gang zu befreien. Onkel Carlos, selbst Polizist, kann Starr zu einer Aussage überreden, in der es allerdings immer nur um Khalil geht und nie um den Polizisten, der geschossen hat. Starr wird auch ein Interview im Fernsehen geben, allerdings wird sie als Person nicht zu sehen sein. Auch wenn dieser Fall vor die Grand Jury gelangt, niemand hat wirklich die Hoffnung, dass Recht gesprochen wird.

Angie Thomas versucht kein Schwarz-Weiß-Bild von der amerikanischen Gesellschaft zu zeichnen, aber sie verärgert den Leser durch die immer wieder eingestreuten plakativen Sätze über Moral, Anstand und wie man sich als guter Schwarzer benimmt. Starrs Eltern halten ständig Gardinenpredigten, die sich die braven Kinder anhören. Die einzelnen Verstrickungen der Figuren sind gut nachzuvollziehen, der Wegzug der Eltern verständlich, die Androhungen der Polizisten, ein Skandal, die schwierige Situation für Starr an der Schule erklärlich und doch bleibt die Geschichte, die so oder ähnlich bereits mehrmals in den Nachrichten zu sehen oder zu hören war, an der Oberfläche. Angie Thomas will einfach zu viel erzählen, von einem Polizistenmord, von einem Jungen, der aus der Dealergang aussteigen will, von Starr, die mit ihrem Gewissen klarkommen muss, von den Medien und der Rechtssprechung in den USA, die für Europäer immer unverständlicher wird.