Tara Isabella Burton: So schöne Lügen, Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann, DuMont Buchverlag, Köln 2019, 336 Seiten, €22,00, 978-3-8321-8370-7



„Louise kann nur an eines denken: Dass alles Schreckliche, das ihr jemals jemand zugetraut hat, tatsächlich in ihr steckt, schon immer in ihr gesteckt hat, und dass es kein Universum gibt, in dem sie nicht irgendwann die Tat begangen hätte, die sie begangen hat.“

Zwei junge Frauen lernen sich in New York kennen. Die eine, Lavinia Williams, hat sich ein Sabbatjahr genommen, um angeblich ihren Roman zu schreiben und die andere, Louise Wilson, ist von New Hampshire in die Stadt, die niemals schläft, gezogen, um ihren Lebenstraum von der Schriftstellerei schnell wieder aufzugeben. Sie schlägt sich mit drei Minijobs von Monat zu Monat und kann manchmal ihre Miete von gut 800 Dollar nicht bezahlen. Die überdrehte Lavinia lebt in der geräumigen Wohnung ihrer Eltern zwischen Park Avenue und Lex Avenue und hat eine Kreditkarte mit einem Guthaben von über 100 000 Dollar. Lavinia, mal völlig der Freundin ergeben, dann wieder launisch und unberechenbar, öffnet für Louise die Türen zu sagenhaften Partys, auf denen sich die beiden maßlos betrinken, kiffen oder auch härtere Drogen nehmen und sich vorgaukeln, gebildet, interessant und amüsant zu sein. Mimi, eine junge Frau, folgt Lavinia wie ein Hündchen, andere Bekannte mit berühmten Autorenvätern geben sich sarkastisch oder auch intellektuell wie Lavinias Jugend- und Ex-Freund Rex Eliot. Lavinia und Louise haben nicht nur ähnliche Nachnamen, sie gleichen sich auch äußerlich. Bei all ihren Abenteuern, ob in Manhattan oder an Stränden mitten im Winter, machen sie Selfies, posten ihre Aktivitäten auf Instagram oder Facebook und lassen die Welt teilhaben.
Immer enger und wilder wird das Nachtleben der beiden, bei dem Louise finanziell nicht mithalten kann und außerdem ihre verschiedenen Arbeitsstellen vernachlässigt. Findet die extrovertierte Lavinia, die einfach nicht allein sein kann, Louise mysteriös, so hofft Louise durch Lavinia auf beste Kontakte, um endlich auch ihre Geschichten zu veröffentlichen. Beide Frauen vertrauen sich Geheimnisse an und als Louise Lavinias Roman auf ihrem Handy liest, beginnen die Lügen und werden auch nicht wieder enden. Völlig sturzbetrunken überlässt Lavinia der Freundin ihre Kreditkarte mit Pin-Nummer und verführt die ständig vor der Pleite stehende zum Stehlen. Louise flieht vor einem aufdringlichen Typen vor ihrem Haus und wohnt bald bei Lavinia, die sie jedoch, auch wegen der Eigentümergemeinschaft, nicht als Untermieterin anmelden kann und einen Schlüssel besitzen nur Lavinia und ihre jüngere brave Schwester Cordelia. Nach und nach verliert Louise durch ihre nächtlichen Abenteuer und Lavinias Anhänglichkeit ihre Jobs und den Boden unter den Füßen. Klar ist, dass Lavinias Eltern mit dem Verhalten der Tochter, die ihr Studium in Yale wieder aufnehmen soll, hadern.

Lavinias körperliche Nähe bringt Louise in Gewissenskonflikte, zumal sie sich in Rex, den künftigen Altphilologen, den Ex von ihrer besten Freundin verliebt hat.
Eine wissende Erzählerstimme klärt den Leser über den dramatischen Fortgang der Geschichte auf. Wobei dies gar nicht notwendig ist, denn in der Figurenkonstellation Lavinia und Louise ist der Konflikt bereits angelegt. Es stellt sich heraus, dass bereits Mimi in der Wohnung von Lavinia gewohnt hat und davor eine anderes Mädchen. Louise hebt immer mehr Geld von Lavinias Konto ab, lügt und gibt vor, arbeiten zu gehen und kann aber bald die Schieflage ihrer Beziehung nicht mehr kitten. Lavinia wird aggressiv und gemein, wenn sie getrunken hat. Doch alles scheint am kommenden Tag vergessen. Als Lavinia Rex und ihre beste Freundin zusammen sieht, eskaliert die Handlung und wie beim „talentierten Mr. Ripley“ tötet die ums Überleben kämpfende Louise ihre angeblich beste Freundin. War es ein Unfall, war es Absicht? Alles, was Louise nach dem Tod der Freundin unternimmt, ist ausgeklügelt und sagenhaft brutal. Mit Hilfe der sozialen Medien kann Lavinia weiterleben, denn Louise konstruiert für sie ein neues Leben fern vom Alkohol und fern von New York.
Plötzlich öffnen sich für Louise Möglichkeiten, ihre Geschichten beim angesagten Fiddler – Onlinedienst anzubieten, und vielleicht auch in der Printausgabe zu platzieren. Ihre Idee, die Stadt mit einem falschen Pass zu verlassen, schwindet immer mehr. Sie beginnt mit Rex eine Affäre und wird nachlässig beim Bezahlen bis plötzlich eine Bekannte Lavinias Kreditkarte bei Louise sieht. Sie beginnt diese zu erpressen und dann sitzt Cordelia, Lavinias siebzehnjährige Schwester in der Wohnung und kann nicht glauben, dass ihre Schwester so weit fort sein soll.

Tara Isabella Burton führt den Leser in das New York der angeblich kulturell gebildeten Kreise, die zu viel auf sich halten. Auch wenn sich die beiden jungen Frauen talentfrei oder wenig talentiert „Mehr Poesie!“ als Tattoo stechen lassen, bleiben sie an der Oberfläche, wie der zu Beginn temporeich geschriebene Roman auch leider ab der zweiten Hälfte. Auch wenn die Parallele zu Patricia Highsmith zu hoch gegriffen ist, die Begegnung mit Lavinia holt in Louise die schlechtesten Eigenschaften hervor und die moralische Frage verwässert. Psychologisch kaum nachvollziehbar ist, dass Louise erst nach einem halbem Jahr wahre Gewissensbisse verfolgen, ebenso nicht erklärbar ist, dass sie nun auf einmal literarisch so produktiv ist, dass sie wirklich Aufmerksamkeit erregt. Mag Louise die Täterin und das Opfer in einer Person sein, so kann doch die gesellschaftliche Ungerechtigkeit, die als Untertext irgendwie doch mitläuft, den Leser nicht kalt lassen.