Anna Woltz: Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess, Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann, Mit Bildern von Regina Kehn, Carlsen Verlag, Hamburg 2015, 176 Seiten, €10,99, 978-3-551-55099-6

„Als es hell wurde, wusste ich, dass ich etwas Schreckliches tun würde. Es war schlimmer, als tot sein zu üben. Und es war schlimmer, als sich eine Schwangerschaft für Tess auszudenken. Denn es ging um eine echte Schwangerschaft. Ein Geheimnis, das zwölf Jahre alt war.“

Der 10-jährige Samuel und seine Familie machen Urlaub auf der schönen Insel Texel. Alles beginnt bereits mit einem Desaster, denn Samuels älterer Bruder Jorre, vom Pech verfolgt, bricht sich ein Bein. Jorre ist in letzter Zeit nicht gerade freundlich zu Samuel, den er immer „Professor“ nennt, nur weil Samuels Gedanken einfach nicht stillstehen können und sich ständig Fragen ergeben. Wie erging es dem letzten Dinosaurier? War er froh, endlich zu sterben, da er ja wirklich einsam sein musste?

Der Tod ist eine wichtige Sache und Samuel muss oft darüber nachdenken. Beim Arzt jedenfalls nervt Samuel seinen Bruder und so geht er schon mal vor die Tür, um Tess kennenzulernen. Jorre und Samuels Vater staunen nicht schlecht, als sie beim Verlassen der Praxis feststellen, dass der ziemlich kleine Samuel und die etwas ältere und größere Tess Walzer tanzen. Völlig verrückt, wozu Tess andere Menschen verleiten kann. Und dann muss Samuel auch noch mit Tess eine Beerdigung ausstatten. Hatten Sie doch dem 89-jährigen Hendrik und seinem toten Piepmatz versprochen vorbeizukommen.

Diese eine Woche ist wirklich so seltsam wie Tess. Das resolute Mädchen, das hat sie wohl von ihrer alleinerziehenden Mutter, entschuldigt sich nicht und um Verzeihung kann sie schon gar nicht bitten. Dabei lässt sie den ortsunkundigen Samuel einfach so mitten in den Dünen stehen. Tess hat nämlich hinter dem Rücken ihrer Riesenmutter, die Samuel auch noch Zwerg nennt, ihre Ferienwohnung vermietet. Als Hugo Faber mit Freundin anreist nimmt Tess Samuel einfach mit und erzählt ihm auch noch, dass Hugo Faber wahrscheinlich ihr Vater ist. Allerdings weiß er nichts davon und bevor sie sich ihrem Vater zu erkennen gibt, will sie ihn kennenlernen. Auch Hugo Faber ist seltsam, zumindest wenn es um seine T-Shirt-Auswahl geht und er hat die gleichen Pünktchenaugen wie Tess. Aber Tess fühlt nichts als sie ihren Vater sieht, er entspricht so gar nicht ihren Erwartungen und so rast sie wie wild davon und lässt Samuel einfach stehen.
„Doofe Tess.“
Aber die Begegnung mit Tess und dieser ganzen Familiensache beschäftigt Samuel. Ist die Familie überbewertet? Tess‘ Mutter hatte entschieden, das sie ihre Tochter allein großzieht, ohne dem Vater ein Wort zu sagen. Hugo ist nun Vater und weiß es gar nicht. Tess jedenfalls hat den Namen ihres Vaters im Reisetagebuch der Mutter gefunden, denn eine Asienreise hatte die zwei endgültig entzweit.

Als Samuel Tess wiedersieht, kann er ihr so gar nicht böse sein. Das Abenteuer nimmt seinen Lauf, denn Tess hat für ihre Mieter ein Programm zusammengestellt.
Es soll ein Picknick geben und eine Schnitzeljagd. Hugos Freundin findet das ein bisschen kindisch, aber Hugo, der gern Walzer tanzt, Jazzmusik hört und schnitzt, das weiß Tess aus seinem Facebook-Profil, ist begeistert.
Inzwischen geht der Ich-Erzähler Samuel seinen Gedanken nach und die drehen sich wiedermal um Beerdigungen. Irgendwie kommt er auf die wahnwitzige Idee, dass er zu den Menschen, die um ihn herum sind, Abstand suchen muss, da er ja als Jüngster am längsten Leben wird und wenn alle tot sind, allein zurückbleibt. Um sich schon mal an die Einsamkeit zu gewöhnen, so redet er sich ein, kann er die Ferien ja mit Tess verbringen. Zum Glück rückt der alte Hendrik Samuel den Kopf wieder zurecht.

Auf jeden Fall beginnt Tess, langsam doch Gefallen an ihrem biologischen Erzeuger zu finden. Nach einigen Turbulenzen jedenfalls will sie ihm sagen, wer sie ist. Und dann geschieht etwas wirklich Schreckliches und Samuel muss eingreifen, auch wenn man sich in fremde Leben nicht einmischt. Die offenbar alles wissende Tess jedenfalls, die mit ihrem elf Jahren zum Glück nicht schwanger ist, auch wenn Samuel das mal kurzzeitig behaupten muss, ist ganz froh am Ende dieser skurrilen Geschichte.

Wohin Kinderlogik führen kann und wie selbstständig offensichtlich bereits Elfjährige ihr Leben in die Hand nehmen, dank Google oder Facebook, davon erzählt die niederländische Autorin Anna Woltz auf wirklich komische und doch ernstzunehmende Weise. Die Abwesenheit der Väter, auch aus Unkenntnis über die Vaterschaft, bleibt ein Dauerthema im Kinder- und Jugendbuch, so wie die Gedanken über den Tod. Die Autorin hat beide Themen kongenial in ihrer unterhaltsamen Geschichte verbunden.

Ihr Buch hat Anna Woltz nicht ihrer unschätzbaren Familie gewidmet, sondern dem Hund Jefta, der 2012 gestorben ist. Noch eine Beerdigung über die Samuel nachdenken könnte.