Colette Victor: Kopfgefühl und Bauchzerbrechen, Aus dem Englischen von Ilse Rothfuss, Chicken House Verlag im Carlsen Verlag, 224 Seiten, €12,99, 978-3-551-52075-3

„Hier in England tragen viel mehr Frauen Kopftuch als in der Türkei. Laut Elif liegt es daran, dass sie sich nicht von ihrer Heimat lösen können. Deshalb klammern sie sich an die eine Tradition, die gar nicht mehr existiert. Anne sagt, die Frauen halten an ihre Traditionen fest, weil sie in einem Land mit anderen Werten leben.“

Zeyneb verkriecht sich unter dem Hortensienbusch im Garten, wenn sie Probleme hat oder Konflikte für sich lösen muss. Als türkisches Mädchen hat sie nicht die Freiheiten wie ihre Freundin Kelly. Aber Zeyneb fühlt wie alle anderen in ihrem Alter und sie mag Alex, der sie so gerne anschaut. Sie weiß, dass sie keinen Freund haben darf und doch ist die Versuchung einfach zu groß. Und so lügt Zeyneb ihre Eltern an und geht statt zum Einkauf mit den Tanten für die Hochzeit der Cousine lieber zu Kellys Grillparty, wo auch Alex eingeladen ist. Als Zeyneb von ihrem Vater im Park entdeckt wird, folgt ein bedrückend langes Schweigen der Eltern. Das Mädchen muss bestraft werden und niemand will ihre Argumente hören.

Elif, Zeynebs Schwester, hat sich früh mit einem Jungen eingelassen, hat ihn geheiratet und sitzt nun mit zwei Kindern ohne Berufsausbildung zu Hause.

Zeynebs Vater möchte, dass seine Tochter mit ihren guten Zensuren studiert. Ihre Mutter legt ihr nahe, nun da sie ihre Periode bekommen hat, das Kopftuch zu tragen.

Die Familie suggeriert ihr, es sei ihre eigene Entscheidung. Ist es das, wenn die Mutter ihr ein Kopftuch kauft und sie eigentlich indirekt um der Harmonie in der Familie willen darum bittet? Es sind die hohen Erwartungen und missbilligenden Gesichtszüge der Eltern, die ein sensibles Mädchen wie Zeyneb, die alles richtig machen will, verunsichern.

Wie schwer es für Zeyneb auf dem Weg zum Erwachsenwerden ist, wird auch durch die ständige Kontrolle der Eltern deutlich. Wenn Alex für ein Schulprojekt zu Zeyneb nach Hause kommt, steht die Mutter eigentlich die ganze Zeit neben den beiden am Vortrag arbeitenden Schülern. Zeyneb schämt sich für dieses auffällige, wie peinliche Verhalten und hofft auf Alex\‘ Diskretion. Angst vor den eigenen Gefühlen zu haben, das ist Zeynebs größtes Problem. Sie sagt Alex, dass sie nur Freunde sein können und er ist vernünftig genug, das zu verstehen. Die Jugendlichen sind eigentlich weiter als die Erwachsenen und doch steht Zeyneb am Pranger als die Cousine, geschickt als Bewachung für den Ausflug zum Rummelplatz, Zeyneb und Alex beim Händchenhalten entdeckt und denunziert.

Die Betonung, dass die Familie andere Werte habe als ihre Umgebung, stürzt die wirklich sehr brave Zeyneb in einen tiefen Konflikt. Der Blick der Außenwelt auf die andere Kultur dringt langsam zu Zeyneb durch und dieser ist nicht wohlwollend, ganz im Gegenteil. Zeyneb hat sich nichts vorzuwerfen, aber die Familie straft sie mit tiefer Verachtung und Schweigen.

Keine Frage, dieser Vertrauensverlust kann das Mädchen nur wütend machen und Zeyneb haut ab.

Zeynebs Geschichte, die die Zerrissenheit der Kulturen thematisiert, ist nicht neu. Colette Viktor jedoch erzählt aus der Innenansicht ihrer Hauptfigur und sie verdeutlicht, dass muslimische Mädchen wie Jungen ihre Pubertät mit allen Gefühlsschwankungen, inneren und äußeren Ausbrüchen wie Veränderungen nicht ausleben dürfen. Der unbedingte Gehorsam den traditionell denkenden Eltern gegenüber behindert sie in ihrer Entwicklung zu eigenständig denkenden Menschen, die die Freiheit haben, eigenständig zu leben. Innerhalb der Handlung offenbart sich diese Diskrepanz zwischen Sorge um die Tochter und tiefem Misstrauen und den Möglichkeiten, die Zeyneb hätte, vielleicht Botanik zu studieren, und den familiären Barrieren, die diese Pläne verhindern könnten. Zeyneb ahnt, dass sie, auch wenn der Vater versucht die Tochter zu verstehen, einen schweren Weg vor sich hat.