Susanne Mischke: Kalte Fährte, Berlin Verlag, TB, Berlin 2016, 462 Seiten, € 9,99, 978-3-8333-1059-1

„Es schien an der Zeit zu sein, reinen Tisch zu machen, auch auf die Gefahr hin, dass er selbst dabei ein paar Federn lassen würde. Und nun? Wo standen sie? Ging es Francesca Dante gerade so wie ihm damals? Quälte sie sich mit Zweifeln an der Integrität ihres Vorgesetzten herum und wusste nicht, was sie tun sollte? Wiederholte sich jetzt das Schauspiel: schweigen – hinterrücks ermitteln – und dann doch wieder schweigen?“

Oberkommissarin Francesca Dante hat es nicht so leicht mit ihrem Vorgesetzten Carolus Jessen. Verschlossen, in sich gekehrt und kaum zugänglich gibt sich der Mann, der gern teure Anzüge trägt und in seiner Freizeit bei Reenactmentevents die römische Geschichte nachspielt. Wenn er schweigt, redet sie sich um Kopf und Kragen. Beim neuesten Fall der Polizeidirektion Göttingen dreht sich alles um dysfunktionale Familien. Was Francesca nicht weiß, auch Jessen stammt aus einer völlig kaputten, allerdings wohlhabenden Familie. Sie dagegen muss sich, ohne Ehemann und kaum ersehntem Nachwuchs, gegen ihre zahlreichen, besorgten Familienmitglieder eher zu Wehr setzen und doch weiß sie, wenn es Probleme gibt, ist la famiglia zur Stelle.

Doch zum brisanten Fall: In einem Brunnen wird ein Mann aufgefunden, der durch vier Jahre Gefangenschaft unterernährt ist und von Ratten angefressen. Es ist Steffen Plate, der vor 16 Jahren mit seinem Kumpel Marcel Hiller ins Haus der Familie Lamprecht eingedrungen ist. Rolf Lamprecht war Bankfilialleiter und sollte mit Hiller zusammen in die Bank fahren und den Tresor öffnen. Allerdings verursachte Lamprecht einen Autounfall, wobei Hiller starb. Plate hat in der Zeit Frau Lamprecht und ihre beiden Töchter Judith und Hannah mit der Pistole bedroht und am Ende Judith erschossen. Er wurde gefasst, hat jedoch behauptet, er könne sich an nichts mehr erinnern und kam für zehn Jahre in die Psychiatrie.

Francesca Dante und Jessen, der zum damaligen Zeitpunkt mit seinem Vorgesetzten Ludwig Beringer die Befragungen zu diesem Mordfall übernommen hatte, rekonstruieren nun das damalige Geschehen. Francesca stellt fest, dass es im Jahr 1998 viele Ungereimtheiten gab. Wo sind die Mitschnitte der Vernehmungen? Warum sind die Akten so schlampig geführt? Warum wurde auffälligen Verdachtsmomenten nicht nachgegangen? Warum hat Beringer die Vernehmung mit Rolf Lamprecht allein geführt? Francesca verbeißt sich in diesen, ihren ersten Mordfall und gewinnt den Eindruck, dass sie sich auf Jessen nicht verlassen kann. Bei der Befragung des nun pensionierten Beringer lässt dieser sie gnadenlos gegen die Wand laufen. Dabei sollte sie doch die Vorgänge vor 16 Jahren aus einem anderen Blickwinkel sehen. Warum wurde damals nicht genau untersucht, wie es zu den Kopfverletzungen des Unfallopfers kam? Hat Lamprecht, der nur Schürfwunden hatte, Hiller erschlagen?

Wer war noch am Unfallort?

Nach und nach, immer aus den Perspektiven der gerade agierenden Ermittler, erfährt der Leser vieles über die Familien, die in diesen Fall involviert sind. So haben die Lamprechts, wohnhaft im katholischen Eichsfeld, ein gottgefälliges Leben ohne Fernseher geführt. Der autoritäre Vater hat seinen Töchtern, die fast erwachsen waren, nichts erlaubt. Als die Ermittler Frau Lamprecht befragen, stellen sie fest, dass Judiths Klavierflügel verschwunden ist und auch nur Bilder der toten Tochter in der kahlen Wohnung zu sehen sind. Recherchen ergeben dann, dass Marcel Hiller bei seiner angeblichen Mutter aufgewachsen ist, die allerdings seine Großmutter war. Die Tochter, die noch minderjährig war als ihr Kind kam, lebt im bereits versteigerten Hof der Familie. Auch Steffen Plate stammte aus prekären Familienverhältnissen. Die Mutter alkoholabhängig, der Stiefvater ein Sadist, der mit dem Stiefsohn gern seine Spielchen trieb. Doch dann eröffnet sich ein neues Bild und Francesca stellt fest, das die Jungen aus der Clique von Plate, die sich alle irgendwie als Neonazis gebärdet haben, über mehrere Jahre hinweg bei ungeklärten Unfällen verstorben sind.

Sind die Ermittler im Fall Plate auf der falschen Spur?

Susanne Mischke beschreibt mit wenigen Sätze soziale Milieus und gesellschaftliche Schichten, zeichnet ein genaues Bild von den Ermittlern und den Personen, die sie befragen müssen und verdächtigen. Es stellt sich langsam heraus, das nichts so gelaufen ist, wie einst vermutet. Jessen weiß das und hat zum damaligen Zeitpunkt geschwiegen, doch nun bohrt Francesca nach und gerät wie er in einen Konflikt, den sie kaum lösen kann. Und eins ist bei dieser Autorin auch wichtig, ihre ermittelnden Hauptfiguren sind wahre Menschen, die immer noch etwas fühlen, ein Privatleben haben und Fehler machen.

Realistisch, glaubhaft und in immer neuen Wendungen fesselt dieser Kriminalroman bis zur letzten Seite!