Anne Holt: In Staub und Asche, Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs, Piper Verlag, München 2018, 414 Seiten, €22,00, 978-3-492-05697-7

„Hannes Augen funkelten vor Eifer, und sie sprach leiser als sonst. So mochte Henrik sie am liebsten: Wenn er etwas von ihr lernen konnte, sie aber nicht belehrend war, wenn sie ihn in ein Problem mit einbezog, statt ihn abrupt auszusperren, was sie sonst noch immer allzu oft tat.“

Eigentlich sind die leicht mürrische Hanne Wilhemsen, die im Rollstuhl sitzt und von Zuhause aus arbeitet und ihr junger Assistent, Henrik Holme, nur für Verbrechen zuständig, die ihnen von der Polizeipräsidentin zugeteilt werden und meistens Jahre zurückliegen. Aber dieses Mal beschäftigen die beiden ein wirklich zurückliegender und ein aktueller Fall, zwischen denen, ohne, dass die Polizisten es ahnen konnten, eine Verbindung besteht.

Zum einen ist da Kjell Bonsaksen, ein Polizist kurz vor der Pensionierung, der sich einfach nicht aus der Arbeit verabschieden kann, ohne nochmals Henrik Holme darauf hinzuweisen, dass er nach wie vor trotz vieler Beweise glaubt, dass Jonas Abrahamsen seine Frau Anna nicht ermordet hat. Jonas und Anna haben vor zwölf Jahren ihre Tochter Dina durch einen schrecklichen Unfall verloren. Nun wurde Jonas Abrahamsen nach acht Jahren Haft entlassen. Zeitgleich findet ein Prozess gegen rechtsradikale Täter statt und die enttarnte gegen Ausländer hetzende Bloggerin und Geschäftsfrau, Iselin Havørn, nimmt sich das Leben. Doch Hanne Wilhelmsen kann nicht glauben, dass Iselin ein Mensch ist, der sich durch die öffentliche Bloßstellung so einschüchtern lässt. War sie wirklich so extrem depressiv? Iselins Lebenspartnerin ist Maria Kvam, eine Frau die ebenfalls geschäftlich gut dasteht und die Schwester der getöteten Anna Abrahamsen ist.

Der Leser verfolgt nun die ersten Recherchen, die Hanne und Helge trotz nicht erteiltem Auftrag vornehmen. Schnell stellt sich heraus, dass die Polizei im Fall Inselin nicht gründlich ermittelt hat, denn ein Abschiedsbrief ist nicht unbedingt ein Beweis für einen Selbstmord. Und ist Anna wirklich ermordet worden oder zeigen viele Indizien nicht darauf hin, dass sie Selbstmord begangen haben könnte?

Auch Jonas Abrahamsens Leben wird beleuchtet. Er hatte zwar nach dem Tod seiner Tochter Dina dem Fahrer des Unfallwagens keine Schuld gegeben und doch beobachtet er dessen Tochter Christel und ihren Werdegang seit vierzehn Jahren. In Freiheit schmiedet er einen völlig abstrusen Plan.

Geschickt und routiniert erzählt Anne Holt eine gut konstruierte und völlig überzeugende Kriminalgeschichte, die durch die lebendigen Ermittler, deren Privatleben und Konflikte einfach lebensnah wirkt. Die fordernde Hanne erwartet von Helge vieles, was dieser erst ablehnt, aber dann doch leistet. Sie regt seine grauen Zellen an und führt ihn in diesem Fall nicht nur auf die Fährte des Alten Testaments und Hiobs Leidensgeschichte.