Marie Aubert: Erwachsene Menschen, Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein, Rowohlt Verlag, Hundert Augen, Hamburg 2021, 171 Seiten, €22,00, 978-3-498-00190-2

„Ich höre, dass sie es ist, es hängt irgendwie mit dem Rhythmus zusammen. So etwas wissen Schwestern, denke ich, wie wir einander verletzen können, wie unsere Schritte klingen, nachts im Haus, auf einem Kiesweg zur Ferienhütte.“

Wo werden sie ausgetragen, die Konflikte, die jahrelang unterschwellig noch aus der frühen Kindheit im Innern brodeln? In der Familie. Sicher immer zum falschen Zeitpunkt, sicher immer voller Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid. Familie als kleinste Zelle der Gesellschaft spiegelt auch die großen Zusammenhänge. Wird in den einen Familien geschwiegen und alles unter den Teppich gekehrt, so agieren die Mitglieder in anderen Familien ungefiltert und recht schamlos alles aus, was ihnen auf der Seele brennt.

All diese Konflikte verhandelt die norwegische Autorin Marie Aubert in ihrem schmalen Roman.
Aus der Perspektive der Architektin Ida, die gerade vierzig geworden ist, wird erzählt. Ida, die nie eine feste Partnerschaft hatte, spürt, dass ihre innere biologische Uhr tickt. Sie will sich ihre Eizellen einfrieren lassen, im Falle doch noch ein Mann auftaucht, mit dem sie leben will und eine Familie gründen. Für den Zeitpunkt, wenn die Kinder da sind und das wahre Leben beginnt. Es ist Sommer. Alle treffen sich im gemeinsamen Ferienhaus der Familie, denn Idas Mutter wird fünfundsechzig. Marthe, Idas jüngere Schwester, ihr Lebenspartner Kristoffer und seine sechsjährige Tochter Olea sind bereits angereist.
Marthe, die so erpicht ist auf den Nestbau, ist nach Fehlgeburten nun endlich schwanger und selig. Kristoffer kümmert sich ums Essen, er hat das Haus neu angestrichen, sie haben neue Möbel gekauft und sich so richtig gut eingerichtet. Hier beginnen die ersten Unstimmigkeiten, denn Ida spürt, dass sie aus dem Haus gedrängt wird und dann bietet ihr die Schwester sogar an, sie auszuzahlen, damit ihr das Sommerhaus gehört. Ida ist empört. Die negative Gefühle der Familie gegenüber steigen immer mehr in Ida empor. Marthes „Faulheit“ und ständige Unpässlichkeit ist legendär und hat Ida schon einiges verdorben. Idas und Marthes Eltern hatten sich getrennt, da waren die Mädchen noch Teenager. Ida glaubte, sie müsse sich auf die Seite der Mutter stellen und reagiert bis heute eifersüchtig, wenn die Mutter sich der jüngeren Tochter zuwendet. Stein ist der nun langjährige Lebenspartner der Mutter und er betrachtet die Familie von außen, wie ein Zuschauer. Seine Kommentare sind verletzend und vielleicht auch zutreffend.
Die Geschichte schaukelt sich hoch, als Kristoffer, der offensichtlich zu viel trinkt, Ida beichtet, dass er eigentlich kein weiteres Kind möchte. In dieser sturzbetrunkenen Nacht nähert sich Ida ihrem Schwager und kann nicht damit umgehen, dass er ihr am kommenden Morgen einen Korb gibt. Ida hat erfahren, dass sie zu wenige Eizellen hat und eine Hormonbehandlung recht teuer und wahrscheinlich auch sinnlos ist. In ihrer Rage und Enttäuschung sucht sie das Gespräch mit der Schwester, um mit ihr über Kristoffer zu sprechen. Will sie sie nun schützen oder einfach nur kränken?
Welche Verletzungen halten Familienbande aus? Die Anspielung auf den dänischen Film von Thomas Vinterberg „Das Fest“ spricht Bände.

Ungeschminkt zeigt Marie Aubert ihre Ich-Erzählerin, die mit vierzig Jahren nicht zu Bindungen fähig ist, um sich schlägt, wenn ihr danach ist. Ohne Empathie und aufs eigene Glück geeicht kann man Ida für ihre schonungslose Ehrlichkeit bewundern oder einfach nur unsympathisch finden. Hier scheiden sich vielleicht die Geister und das macht die Lektüre dieses Romans mitten aus dem Leben so interessant.