Veit Heinichen: Entfernte Verwandte – Commissario Laurenti ahnt Böses, Piper Verlag, München 2021, 320 Seiten, €20,00, 978-3-492-07062-1

„‘ So langsam habe ich den Eindruck, dass es in dieser Sache keine ‚Guten‘ gab. Egal ob Italiener, Deutsche, Österreicher, Slowenen, Serben, Kroaten. Alle hatten Blut an den Händen. Und alle haben aufs Vergessen gesetzt. Es wird Zeit, dass wir die Sache zu Ende bringen.‘ „

Triest im Herzen des Mittelmeerraums als Schmelztiegel unterschiedlichster Nationen ist wieder die Hauptfigur in Veit Heinichens Kriminalroman. Was hat sich hier in den Kriegstagen und vor allem in der Nachkriegszeit abgespielt? Wie schnell konnten die einstigen SS – Schergen und ihre Helfershelfer wie Sympathisanten nach 1945 untertauchen und unbehelligt im Schutz der Siegermächte in neuen Positionen wieder in Triest auftauchen? Warum werden Massaker an Partisanen mal schnell vergessen oder heruntergespielt? Wie kann es sein, dass rechte Ideologien sich in Parteien und Bewegungen erneut in Demokratien breitmachen können? Der ewige Ruf nach „dem starken Mann“ und die seltsam fanatische Besinnung auf die Bewahrung der Nation durchströmt nicht nur Italien. Und die Umdeutung von Geschichte ist überall an der Tagesordnung.
Viel zu leise sind die Stimmen derjenigen, die Krieg, Folter und Zerstörungen miterlebt haben. Sie sterben langsam aus und neue unwidersprochene Wahrheiten bahnen sich ihren Weg, die in der Gegenwart die Schuldigen freisprechen. Die fünfundachtzigjährige Vilma Lorenzi, die einst in Triest lebte und dann nach Chambéry in Frankreich gehen musste, hat vor ihrem Tod alle Erinnerungen, einschließlich einer Liste von angeblichen Kriegsverbrechern und Kollaborateuren, die während der deutschen Besetzung von Stadt und Region nach dem Sturz Mussolinis ihr Unwesen getrieben hatten, für ihre „entfernte Verwandte“ Eleonora Rotas aufgeschrieben. Immer wieder lesen Eleonora und ihre neuer Lebensgefährte Nicola Dapisin, ein korrupter Polizist, die Blätter der alten, einbeinigen Frau. Beide gelangen zu einem folgenreichen Entschluss, der dem Leser nicht verborgen bleibt.

Nur Ermittler Proteo Laurenti tappt im Dunkeln und vor allem muss er sich wieder mit dem arroganten, wie ehrgeizigen Oberstaatsanwalt Pasquale Cirillo auseinandersetzen.
Ein Spaziergänger entdeckt am Partisanendenkmal von Prosecco nicht nur ein hingeschmiertes Hakenkreuz, sondern auch einen Toten. Giorgio Dvor, geboren 1946, ist das Opfer und zugleich jemand, der die schändlichen Handlungen seiner Eltern immer verteidigt hat. Getroffen wurde er mit einer Kampfarmbrust mitten ins Herz. Ein zweiter Toter, Lauro Neri, ein bekannter Neofaschist, wurde in ebenfalls auf die gleiche Weise in seinem Auto getötet. Und weitere Tote an anderen Orten, auch in Monaco sind zu beklagen. Allerdings scheint die Zusammenarbeit, zwischen den Polizeistationen nicht zu funktionieren.

Ausführlich beschreibt Autor Veit Heinichen zum einen durch Vilma, aber auch andere Zeitzeugen die Übernahme Triests durch die Deutschen 1943. Die fünfundneunzigjährige Ada Cavallin, eine Freundin von Laurentis Schwiegermutter, kann sich noch sehr gut an vieles erinnern. Immerhin fährt sie noch wie eine Wilde durch ihre Stadt, raucht gern und spricht dem Alkohol wohlwollend zu.

Proteo Laurenti verhaftet einen Drohnenbesitzer, der unerlaubt Aufnahmen gemacht hatte. Mit seiner Festnahme spürt die Polizei auch gleich denjenigen auf, der einen völlig verdreckten Walderemiten, der auf dem Karst lebt, zusammengeschlagen hat. Kurti, der Deutsch spricht, muss im Balkankrieg absolut Schreckliches erlebt haben. Er wurde aufgegriffen, weil er die Armbrust, das Tatwerkzeug, gefunden hatte.

Neben dem wirklich schweren Fall schlägt sich Laurenti natürlich wie immer mit seinen Familienproblemen herum. Seine älteste Tochter Livia will nun wirklich den deutschen Rechtsanwalt aus Frankfurt a.M. heiraten, Marko verschwendet sein Kochtalent in einer Großküche oder bei Caterings, wo gut betuchte Triestiner nicht mal ein ordentliches Trinkgeld geben und nur herrummeckern und Patrizia ist offenbar schwanger, allerdings nicht von ihrem Mann, der als Kapitän auf den Weltmeeren herumschippert.

Ein Zeichen setzen und Rache ausüben, kann auch die falschen Personen treffen. Das erkennt Laurenti in seinem elften Fall zum Glück recht schnell. Und er handelt.

Das ist kein Krimi für zartbesaitete Gemüter, denn die Beschreibungen der Gräueltaten und Massaker an der zivilen Bevölkerung, ob nun von deutscher Seite und den Faschisten ausgeführt oder durch die Tito-Partisanen sind unerträglich.
Richtig spannend wird er auch nicht, denn die Hintergründe der Tat sind von der ersten Seite an klar. Im Gedächtnis bleibt natürlich Veit Heinichens Anliegen. Wer urteilt über wen und warum können Täter bis heute immer wieder ihrer gerechten Strafe entgehen?