Minette Walters: Die letzte Stunde, Aus dem Englischen von Sabine Lohmann und Peter Pfaffinger, Heyne Verlag, München 2018, 654 Seiten, €22,00, 978-3-453-27168-5

„Queen of Crime“ hat sich Minette Walters nach einer Schreibpause, um sich den Söhnen und der Familie zu widmen, nun einem neuen Genre zugewandt. Allerdings geschieht auch in ihrem voluminösen, historischen Roman, dessen Handlung sich rund um die ausbrechende Pest im Juli 1348 dreht, ein Mord. Als Minette Walters vor zwanzig Jahren ins südenglische Dorseteshire zog, wurde ihr erzählt, dass es auf ihrem Grundstück einst eine Pestgrube gab. Diese Tatsache ließ die bekannte Autorin nicht los und so begann sie zu recherchieren. Sie erzählt in ihrem Roman vom Ausbruch der Seuche, die angeblich mit einem Schiff in Melcombe eingeschleppt wurde.
Der Schwarze Tod greift rasend schnell um sich und erreicht Sir Richard, der Develish verlassen hatte, um für seine vierzehnjährige Tochter Eleanor einen Ehevertrag in der angrenzenden Grafschaft auszuhandeln. Seine zwanzig Jahre jüngere Ehefrau, Lady Anne, gebildet und gutherzig, erkennt auch durch ihre Erfahrungen, die sie im Kloster sammeln konnte, die Gefahr, die auf sie und die zweihundert Leibeigenen zukommt.

Kurzerhand kappt sie den Zugang zum Herrenhaus und verschanzt sich mit Eleanor und den Leibeigenen hinter hohen Mauern. Gegen den Widerstand ihrer beschränkten, egoistischen und selbstsüchtigen Tochter entwickelt sie eine Überlebensstrategie. Ihrem ungeliebten, brutalen und rücksichtslosen Mann weint sie keine Träne nach. Der pausenlos betrunkene Pater Anselm mischt sich nicht ein und so ernennt sie den Leibeigenen Thaddeus Thurkell zu ihrem Verwalter und setzt somit die feudalistische Ständegesellschaft außer Kraft. Als Thaddeus seine Bruder Jacob erschlagen vorfindet, behauptet er, dass der Junge sich bei einem dummen Spiel mit dem Messer selbst umgebracht hätte. Er ahnt allerdings, wer Jacob auf dem Gewissen hat. Eleanor, die sich angeblich nie mit Leibeigenen abgeben würde, hatte die jungen Männern gegeneinander aufgehetzt. Sie hat besondere Freude daran, Untergebene auszupeitschen. All ihr Hass gilt Thaddeus. Auf dem engen Raum jedoch muss Frieden unter den Leibeigenen herrschen. Außerdem muss die Versorgung mit Vorräten in Angriff genommen werden. Mit fünf Jugendlichen begibt sich Thaddeus nach einer gewissen Zeit auf die Suche nach Lebensmitteln, ohne Lady Anne davon zu berichten.
Innerhalb der anschaulich und spannend geschriebenen Handlung finden sich immer wieder auch Tagebucheintragungen von Lady Anne und treiben den Fortgang der Geschichte voran.

Als Eleanor ihre Dienerin Isabella mit eine Nadel schwer verletzt, kann Lady Anne nicht mehr schweigen. Sie klärt Eleanor darüber auf, dass sie nicht ihre Mutter ist, Sir Richard allerdings ihr Vater. Klar ist auch, dass die Grafschaft weder an Lady Anne noch an Eleanor gehen wird. Ein Vetter von Sir Richard wird, sollte er noch leben, sich des Eigentums am Land und Leuten bemächtigen. Eleanor kann eventuell auf eine Heirat hoffen oder ins Kloster gehen.
Lady Anne ist weder zum einen noch anderen bereit. Sie erklärt den Leibeigenen, die sie respektieren und ihre Fähigkeiten schätzen, dass sie einen eigenen Weg auch mit ihnen suchen würde. Zu diesem Zeitpunkt ahnt niemand, wie es außerhalb der Grafschaft aussieht. Lady Anne hofft auf das Chaos, dass wohl herrschen mag. Der einstige Verwalter von Sir Richard hört diese ketzerischen Ideen von Lady Anne mit Entsetzen:

„Er hatte schon einigen Frevel aus dem Mund dieser Frau vernommen, aber das hier war bislang der schlimmste! Weit entfernt davon, ihre Tochter zu entschuldigen, stachelte sie das Volk jetzt zum Aufruhr an! Begriffen ihre Leibeigenen nicht, was es bedeutete, den Treueid zu brechen?“

Eins kann Minette Walters auf jeden Fall, spannend und unterhaltsam schreiben, und doch hätten ein paar Kürzungen der Handlung gutgetan. Als starke und ja sehr moderne Frau steht die achtungzwanzigjährige Lady Anne im Zentrum der Handlung. Wie sie sich entscheiden wird, erzählt Minette Walters im nächsten Band.