Yrsa Sigurdardóttir: NACHT, Aus dem Isländischen von Anika Wolff, btb Verlag, München 2023, 423 Seiten, €18,00, 978-3-442-76241-5

„Die Bilder vom Tatort tauchten immer wieder in seinem Kopf auf, ganz automatisch, sowie man seine Hand zurückzog, wenn sie etwas Heißes berührte.“

In Island schneit es ununterbrochen, die Straßen sind vereist und niemand ist begeistert, wenn er sich ins Auto setzen und weite Strecken fahren muss. Doch die Polizisten haben keine Wahl. Ein grausiger Familienmord wird sie beschäftigen und Ermittler Týr stößt per Zufall sogar auf ein Familiengeheimnis, dass einst sein Leben als Vierjähriger auf tragische Weise beeinflusst hat.

Yrsa Sigurdardóttir erzählt ihren spannenden Thriller auf zwei Zeitebenen. Gemeinsam mit den Polizisten und der sehr eigenwilligen Pathologin Iðunn geht es um die Aufklärung in der Gegenwart. Und die Geschichte wird aus einem „Vorher“ erzählt. Sóldís, eine junge Studentin, flieht vor ihrem miesen Ex-Freund und arbeitet als Haushaltshilfe bei Ása und Reynir, die als Softwareingenieure ihre Firma in den USA erfolgreich verkauft haben und nun weit ab von der Zivilisation in einem modernen Haus leben. Verbunden ist der große Bau über eine Glasbrücke mit dem alten, jedoch neu renovierten Bauernhaus, in dem Sóldís wohnen wird. Ihre Aufgaben sind vielfältig, sie ist für den Haushalt und die Tiere im Stall zuständig, aber auch für den Isländischunterricht für die achtjährige Gígja und die fünfzehnjährige Iris. Ása führt ein strenges Regime und schnell erfährt Sóldís, dass ihre Vorgänger in dem Job ziemlich rasch den Hof verlassen haben. Von Alvar hängen sogar noch die Sachen im Schrank. Reynir musste sich nach seiner Gehirntumor – Operation zurückziehen, da er seltsame Entscheidungen getroffen hatte. Immer wieder kommt es zu heftigen Streitereien zwischen den Eheleuten und Sóldís fühlt sich in Reynirs Gegenwart äußerst unwohl, da er sehr persönliche, distanzlose Fragen stellt. Nach und nach geschehen im großen Haus, aber auch im Bauernhaus seltsame Dinge. Sóldís will mit Gígja in ihrem Zimmer fernsehen und findet die Fernbedienung nicht. Auch nach langem Suchen taucht diese nicht auf. Als die junge Frau dann mitten in der Nacht aufwacht, liegt die Fernbedienung wie gezaubert in ihrer Hand. Sind das Reynirs seltsame Spielchen oder was passiert wirklich auf diesem Hof?

Als sich dann ein Nachbar durch den Schnee kämpft und nach Ása, Reynir und den Kindern sehen will, der Kontakt ist nicht sonderlich eng, entdeckt er vier Tote. Mit brachialer Gewalt hat jemand in dem Haus mit einer Axt gewütet. Nicht auffindbar ist Reynir, der für die Ermittler sofort als Tatverdächtiger gilt. Allerdings hatte die Familie auch Konflikte mit dem rüpelhaften Nachbarn, Einar Ari Arason, dessen Sohn mit Iris befreundet war. Als dann Reynirs Leiche in der Nähe von Arasons Haus gefunden wird, beginnt die erneute Suche nach dem Täter, der gnadenlos eine Familie und die Haushaltshilfe ausgelöscht hat.

Geschickt entwickelt die isländische Autorin vor dem winterlichen Ambiente der isländischen, wilden Landschaft eine absolut dramatische, wie spannende Handlung, die Angstschauer erzeugt.

Glaubte man zuerst aus dem Blickwinkel von Sóldís, dass diese reichen Leute ein wunderbares, unbeschwertes Leben haben, so verkehrt sich alles ins Gegenteil.

Keine Frage, die Autorin Yrsa Sigurdardóttir ist eine Entdeckung.