Ayelet Gundar-Goshen: Wo der Wolf lauert, Aus dem Hebräischen von Ruht Achlama, Kein & Aber, Zürich 2021, 348 Seiten, €25,00, 978-3-0369-5849-1

„Als wir uns entschieden, in den Vereinigten Staaten zu bleiben, hatte ich meiner Mutter erklärt, ich wolle Adam in einem Ort aufwachsen lassen, wo es keine Kriege gebe. Jetzt fürchte ich, wir könnten uns geirrt haben. Vielleicht hatten wir gemeint, Adam vor dem israelischen Irrsinn zu bewahren, ihn tatsächlich aber einem anderen Irrsinn ausgesetzt.“

Seit siebzehn Jahren lebt das israelische Ehepaar Michael und Lila Schuster in den USA, in Kalifornien, auf der besseren Seite von Palo Alto. Beider Sohn Adam ist jetzt sechzehn Jahre alt und gehört eher zu den schweigsamen Jugendlichen, die sich hinter einem Schachbrett oder ihrem Computer verkriechen. Lila vermisst die Gespräche mit Adam, da sie sich mit gelegentlich schlecht bezahlten Stunden im Altenheim so über den Tag rettet. Michael ist lukrativ in den IT – Bereich eingestiegen und ein Riesenauftrag mit dem Pentagon steht in Aussicht.
Als in der Reformsynagoge, die Schusters gehören nicht dazu, ein Schwarzer mit einer Machete um sich schlägt und ein Mädchen tötet, ist die jüdische Community in Aufruhr. Adam, der nicht gerade begeistert von sportlichen Aktivitäten ist, schließt sich einem Training mit Uri Zis an, der irgendwie ein Händchen für die Jugendlichen hat. Die Schusters sind froh, dass Adam mit einer Gruppe Jungen an diesem Selbstverteidigungskurs teilnimmt. Sie bemerken nicht sofort, wie sehr Adam den geheimnisvollen Uri, dem irgendwelche Beziehungen zum Mossad nachgesagt werden, verehrt. Dass Uri, der wie ein Rattenfänger von Hameln wirkt, doch ziemlich gewaltverherrlichende Methoden in seinem Kurs propagiert, kann Lila nur aus der Ferne beobachten. Michael, der selbst bei der Armee war, stört nicht, dass die Jungen sich gegenseitig Fausthiebe verabreichen.
Lila fährt ihren Sohn morgens in die Schule, holt ihn wieder ab und begleitet ihn auch zu seinen Kursen. Trotzdem scheint sie wenig, über sein Innenleben zu wissen oder dem, was in der Schule vor sich geht.
Als Michael Adam geradezu dazu drängt, zu einer Schulparty zu gehen, geschieht dort ein Unglück. Jamal Jones, ein schwarzer Junge von der eher schlechten Seite von Palo Alto, stirbt an der Einnahme einer Droge. Alle sind geschockt. Bevor Adam seine Eltern anruft, setzt er sich mit Uri in Verbindung. Als die Eltern erfahren, wie sehr Jamal ihren Sohn gemobbt, geschlagen und malträtiert hat, hält sich ihr Mitleid in Grenzen. Und als Lila bei einem Kondolenzbesuch bei der Mutter von Jamal, die als Zimmermädchen in einem Hotel arbeitet, die teuren Sachen ihres Sohnes, die alle irgendwie verloren gegangen sind, entdeckt und auch noch ein Plakat von Nation of Islam, kann sich nur noch fluchtartig die Wohnung verlassen. Lila weiß, dass Adam nicht mit ihr reden wird. Sie weiß aber auch nicht, was sie von Uris Kurs halten soll, bei dem es heißt: „Will dich einer töten, töte ihn zuerst“. Keine Sekunde glaubt Lila, dass Adam etwas mit dem Tod des Jungen zu tun haben könnte.
Aber dann gehen die verbalen Attacken gegen Adam los. In Graffities wird behauptet, dass „der Jude“ Jamal getötet habe. Michael und Uri freunden sich immer mehr an und als Uri seine Arbeit verliert, setzt sich Michael für Uri ein, damit dieser in seiner Firma unterkommt. Uri versorgt die Familie mit immer mehr Informationen über Jamal und die Nation of Islam, die antisemitische Ideen verbreitet. Die Polizei durchsucht das Haus der Schusters nach Drogen.

Ayelet Gundar-Goshen umkreist die Geschichte der Familie Schuster psychologisch und sprachlich überzeugend aus der Perspektive von Lila. Es geht um viele gesellschaftliche Konflikte, zum einen um Gewalt und Schuld, aber auch Fragen der Religion, Ideologie, um Minderheitenmeinungen und Antisemitismus. Dass dieser aktuelle Roman nicht harmlos endet, ist von Anfang an klar. Subtil zeigt die israelische Autorin, wie manipulativ Uri sich immer mehr allen Familienmitgliedern nährt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Und sie berichtet davon, wie die Gewalt plötzlich über die Schusters kommt, der sie sich eigentlich fern von Israel entziehen wollten. Ob alles wirklich so geschehen ist, wie Lila es sich im Nachhinein zusammenreimt, bleibt offen und das ist die Qualität dieses Romans. Die Leser und die Leserinnen müssen sich selbst fragen, was wirklich geschehen ist und welche Rolle die einzelnen Figuren und vor allem auch die Institutionen wirklich spielen.