Sonja Heiss: Rimini, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, 398 Seiten, €20,00, 978-3-462-05044-8

„Masha hatte immer gedacht, dass das Kümmern erst begänne, wenn ihre Eltern von Alter und Krankheit gezeichnet wären. Aber wie so oft entsprach ihre Familie nicht der Norm.“

Der normale Wahnsinn im Alltag der Familie Arnim ist gar nicht so außergewöhnlich, wie der Leser denken könnte. Hans beginnt als Jurist seine Mandanten zu verprellen, in dem er voller Wut sich im Ton vergreift und Bleistifte und Kugelschreiber mit enormer Energie zerbricht. Als Partner in der Kanzlei scheint er bereits auf der Abschussliste zu stehen. Seine Frau Ellen, die mit ihren Kindern in einem großzügig geschnittenen Haus lebt, kann ihn nicht mehr ertragen und Sex ist schon mal gar nicht drin.
„Ellen hatte es aufgegeben, ein Mensch zu sein, sie war eine Mutter und eine Wirtschaftsjournalistin. Daneben existierte sie nicht mehr. Ebenso wenig wie er, der zum Erziehungsberechtigten reduziert war, in dieser Eigenschaft aber selten überzeugte.“

Hans Schwester Masha, die kaum beruflich als Schauspielerin über die Runden kommt, beschließt, da sie stramm auf die vierzig zugeht, dass sie nun ein Kind bekommen müsste. Sie hat Georg, einen Arzt, der ziemlich pflegeleicht ist, sie aber eher langweilt als antörnt. Außerdem riecht er nicht gut und so treibt sie ihn dazu, sie zu verlassen. Die Engagements bleiben aus und die Miete muss aber trotzdem bezahlt werden. Und dann sind da noch Barbara und Alexander, die Eltern von Hans und Masha, die ihr Rentnerdasein pflegen. Alexander liebt seine Tochter heiß und innig und Barbara findet einfach keine richtige Sprache für Masha. Sie reden miteinander, aber immer aneinander vorbei. Die Beziehung der Eltern ist ein Trauerspiel, denn er, der jeden Cent dreimal umdreht und stolz auf alle Schnäppchen ist, kann keinen Schritt ohne sie machen und sie fühlt sich eingeengt, denn sie weiß, dass sie ihn nie geliebt hat. Als sie frisch verheiratet waren und nach Rimini gefahren sind, eine der drei Auslandsreisen in ihrem Leben, empfand sie die intime Begegnung mit dem italienischen Kellner um Längen besser als die mit dem Ehemann. Jeweils aus der Figurenperspektive mit feinster Ironie fächert Sonja Heiss nun die einsamen Leben von Hans, Masha und deren Eltern auf. Hans macht eine Therapie und verguckt sich gleich in Frau D. Mandel-Minkic, die vielleicht als einzige in einer entspannten Beziehung lebt. Aber mit der Therapie und dem Geständnis, dass sich Hans in Frau Doktor vermeintlich verliebt hat, geht die Ehe trotz Wiederbelebungsversuchen in die Brüche.
„Du kannst noch nicht mal eine Therapie machen, ohne dass irgendein Scheiß passiert.“

Masha sucht sich neue Männer, lässt sich für idiotische Rollen casten und bleibt so unentschlossen wie eh und je. Barbara gibt sich ihrer Müdigkeit hin und Alexander kauft sich einen Wellensittich.

Möglicherweise entwickelt der Leser Empathien für die ganz normalen Menschen in dieser gewöhnlichen, ja manchmal auch banalen Alltagsgeschichte oder auch nicht, denn wirklich sympathisch ist kaum einer. Und doch schaut man ihnen gern beim Reden und Fehler machen zu, vielleicht um sich selbst besser zu fühlen oder einfach dem Humor der Autorin zu folgen und ihrer Fähigkeit, wirklich lebendige Dialoge und Szenen zu entwerfen, die man vor seinem inneren Auge miterleben kann.