Riad Sattouf: Esthers Tagebücher, Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock, Reprodukt Verlag, Berlin 2017, 56 Seiten, €20,00, 978-3-95640-118-3

„Meine beste Freundin in der Schule ist Eugénie. Eugénie hat großes Glück, die ist richtig reich. Sie hat schon das iPhone 6. Und zu Hause hat sie ein iPad, einen Rechner und einen Fernseher. Wenn ich überhaupt ein iPhone hätte, auch nur das 4er, was wäre ich da glücklich. Aber ich bin arm.“

Der in Paris lebende Riad Sattouf, aufgewachsen ist er in Libyen und Syrien, hat sich die Geschichten von der Tochter eines Freundes angehört. Diese Erzählungen dienten ihm als Vorbild für seinen großformatigen Comicband „Esters Tagebücher“, denen noch neun Bände folgen sollen.

Alles beginnt im Jahr 2014, da ist Esther neun Jahre alt. Sie lebt in einer intakten Familien in Paris, sie hat einen älteren Bruder, Antoine, mit dem sie ein Zimmer teilen muss und natürlich Papa und Mama. Der Vater ist Fitnesstrainer, die Mutter arbeitet bei der Bank. Das Mädchen geht auf eine Privatschule und berichtet aus ihrer Sicht von ihrem Alltag, ihren Freundinnen, der Schule, ihrem grässlichen Bruder und ihrem allergrößten Wunsch – einem iPhone. Sie liebt Disney-Märchenfilme und ihren Vater.

Pro Seite sind fast durchgehend ganz klassisch, immer 12 Panels mit ausführlichen Textpassagen zu sehen und pro Seite wird ein Thema behandelt, das Esther bewegt – es geht um Jungs, die doof sind, Zoff mit den Freundinnen, Popsänger, Weihnachten, Ärger mit dem Bruder, aber auch Rassismus, Homosexualität, Geheimnisse, Konflikte in der Schule mit reichen Kindern,Träume, es geht um den brutalen Angriff auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“, Nationalismus, angesagte Jungs oder die Schwangerschaft der Mutter. Esther wird mit der Welt der Erwachsenen konfrontiert, aber Riad Sattouf bleibt immer ganz nah beim Kind. Er lässt Esther reden und die Geschehnisse auf ihre ganz eigene Weise bewerten. Das klingt manchmal naiv und auch völlig unlogisch, aber immer ehrlich und authentisch.

„Zwei Papas, das ist ja schrecklich! Stellt euch nur mal vor! Beide sind nie zuhause wegen der Arbeit, keiner kann kochen, niemand räumt auf … Aber wenn man so drüber nachdenkt, was soll so schlimm daran sein, homosexuell zu sein? Keine Ahnung, woher das kommt.“

Esther kann so gar nichts mit den Ereignissen um die Satirezeitschrift anfangen, an diesem Tag interessiert sie eher, ob ihre Freundin sie mag oder nicht. Auch gleichaltrige Kinder, die diesen Comic lesen, verstehen nicht, worum es auf dieser Seite geht. Kein Problem, denn wenn sie Fragen hätten, würden sie sich noch an die Eltern wenden.

Faszinierend ist, dass natürlich Mädchen beim Lesen gern Esthers Rolle übernehmen und schnell Parallelen zwischen sich und der Comicfigur finden.

Esther wird mit großen Augen gezeichnet, immer tauchen rote oder gelbe Farbtupfer auf, wenn etwas Emotionales passiert, Esther sich aufregt oder Angst hat. Durchgängig ist dieser Comic sehr textlastig, denn der Leser erfährt nicht nur Esthers Gedanken, sondern auch in der Bildmitte der Panels Dialoge und kleine Szenen zwischen den handelnden Figuren.

Und so wird diese Comic-Reihe, die sich über zehn Jahre erstrecken soll, auch ein Porträt einer Generation, die mit den sozialen Medien, neuer Technologie und großen sozialen Unterschieden groß wird.