Anne – Laure Bondoux: Das Glück ist nicht immer gerecht, Aus dem Französischen von Maja von Vogel, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2016, 236 Seiten, €9,95, 978-3-423-71690-1

„Ich bleibe hier, in diesem Zimmer, für den Rest der Ferien. Oder für den Rest meines Lebens. Hey, das ist eine interessante Idee! Wenn ich mich für immer einschließe, kann mir nichts mehr passieren. Völlig logisch. Das perfekte Leben.“

Aber Mado Yazinsky verschwindet nicht hinter Türen, das Leben spüren mit allen Hochs und Tiefs, ist viel zu aufregend. Allerdings muss die 15-Jährige und ihre fünf Jahre ältere Schwester Patty einen schweren Schicksalsschlag verkraften. Bei einer Fahrt zum Ferienhaus in der Ardèche kommen ihre Eltern ums Leben. Patty, die als Kellnerin arbeitet, ist nun der Vormund für Mado, dabei ist die Jüngste eher die vernünftige und in sich ruhende der völlig verschiedenen Schwestern. Patty liebt verrückte Klamotten, ihre Piercings, Nagellack, die Liebe und das bequeme Lügen. Zu gern drückt sich die junge Frau vor Auseinandersetzungen. Mado dagegen lernt für ihre Prüfungen, hat noch nie einen Jungen geküsst und übernimmt für alles Verantwortung, denn Patty kümmert sich um nichts.

Klein ist die Familie und Mado will auf keinen Fall ins Kinderheim oder zu Pflegeeltern. Insgeheim schreibt sie den Eltern Briefe, unterhält sich mit ihnen und vermisst sie unsäglich. Auch Patty hat ihren Kummer vergraben. Sie hat sich mit Luigi, den sie nicht liebt, eingelassen und ist schwanger. Wenn Patty Probleme bekommt, dann verdrängt sie alles und so hat sie den richtigen Zeitpunkt für einen Abbruch verpasst. Nach und nach kommt Mado hinter Pattys Lügen, und der Bauch ist nicht mehr zu übersehen. Patty setzt sich mit ihrer Schwangerschaft nicht auseinander. Wieder ist es Mado, die ein Buch kauft und sich insgeheim mit allem rund ums erste Baby beschäftigt. Da der Geburtstermin im September sein soll, fahren die Pariser Mädchen im August zum weit abgelegenen Ferienhaus, das ihre Eltern so liebten. Hier lernen sie die beiden holländischen Brüder Daan und Sander kennen. Mado verliebt sich unsterblich in Sander und Patty in Daan. Alle wissen, dass Patty schwanger ist, nur sie glaubt, sie kann es verheimlichen. Die unbeschwerte Zeit geht dem Ende entgegen als die Holländer nach Hause fahren. Und dann wird eine erneute Lüge von Patty alles auf den Kopf stellen. Der Geburtstermin ist nicht im September, sondern Mitte August. Weit abgelegen von Hilfe und ärztlicher Versorgung bekommt Patty ihren Sohn. Die beiden Mädchen schaffen etwas Unglaubliches. Patty möchte alles geheim halten, denn sie weiß, schalten sich erstmal die Ämter ein, werden Mado und sie ernsthafte Probleme bekommen. Aber mit einem schreienden Baby sind beide völlig überfordert. Patty überlegt sich für ihr Kind auch keinen Namen, denn sie will es zur Adoption freigeben. Sie kann einfach keine Gefühle für den Sohn entwickeln, ihre Figur, die Farbe des Nagellacks und Daan sind wichtiger. Mado ist stinksauer über Pattys Verhalten, auch wenn sie nicht weiß, wie es weitergehen soll. Als die beiden beschließen nach Paris zurückzukehren, das Taxi ist bestellt, hat sich Patty einfach so aus dem Staub gemacht. Sie hinterlässt eine Nachricht und alle Konflikte, die nun Mado allein austragen muss. Mado ahnt, ihre Schwester ist auf dem Weg zu Daan. Immer wieder von Erinnerungen an die Eltern überwältigt und völlig am Limit ihrer Kräfte mit einem schreienden Baby, wartet Mado auf ihr Taxi. Da steht Luigi plötzlich vor der Tür.

Anne-Laure Bondoux erzählt glaubhaft von zwei Schwestern, die sich in einem
emotionalen Ausnahmezustand befinden. Vielleicht fragt man sich an bestimmten Stellen, warum Freundinnen von Mado und auch Patty und die Behörden diese beiden jungen Frauen so allein gelassen haben. Patty hat sich in ihrem Schmerz in die offenen Arme von Luigi, der sie geliebt hat und gar kein so schlechter Kerl ist, geworfen. Auch über Luigi hat Patty Lügen verbreitet. Mado wächst weit über sich hinaus und sie lernt die Liebe kennen. Alles ein bisschen viel. Als Luigi dann auftaucht und Mado ihren Kummer über die leichtlebige Schwester einfach teilen muss, ist er derjenige auf den sie sich verlassen kann.

Einfühlsam geschriebene Geschichte über die Anmaßungen des Lebens und die Kraft, diese zu meistern.